Francis Giauque 1934–1965

Die Medizin nennt es Neurodermitis oder Psoriasis, Unzählige leiden daran, aber wie verstörend es eine Seele treffen kann, weiss erst, wer sich mit Francis Giauque befasst. Am 31. März 1934 als Sohn des Posthalters von Prêles über dem Bielersee geboren, wirkte der charmante junge Mann gemäss seinem Freund Hughes Richard noch an der École de commerce de Neuchâtel auf Kolleginnen und Kollegen gleichermassen «verwirrend verführerisch». Bis die Hautkrankheit ihn packte und er sich immer stärker zurückzog: in die Einsamkeit und zu seinem Schreiben, das letztlich ein einziger Notschrei war. «Zwischen den Kranken und den andern ist keine Beziehung möglich», heisst es in der Erzählung «Anne» lapidar. 1955 verliess er die Schule ohne Matura, arbeitete in Lausanne und Genf als Buchhändler und Korrektor. «Nie habe ich mich so allein gefühlt, nie», schrieb er dem Freund aus der Rhonestadt. «Aus Selbstschutz spiele ich den Kerl, dem alles egal ist, aber ich werde nicht mehr lange spielen, das versichere ich Dir!» 1958 brachte scheinbar die Wende, als er als Lehrer nach Valencia ging. Nach zwei Monaten aber brach er zusammen, und es verschlimmerte sich seine Hautkrankheit so sehr, dass er keine Heilung mehr erhoffte. Nach Prêles heimgekehrt, verliess er, von Tabletten und Alkohol gezeichnet, die Schreibstube im Elternhaus nur noch nachts. Dank Georges Haldas wurden 1959 und 1962 Giauques frühe Gedichte «Parler seul» und «L'ombre et la nuit» gedruckt. Das Erschütterndste aber entstand erst nach 1962: die Gedichte «Terre de dénuement», die seinen allem Lyrischen und Artifiziellen abholden, nackt-existenzialistischen Schreibstil am erregendsten zeigen, das aufwühlende «Tagebuch aus der Hölle» und Prosatexte wie jener, in dem es heisst: «Es wird nie jemand da sein, um die zu lieben, die vor Einsamkeit krepieren und die nicht mehr zu reden wagen, weil sie ihre Stimme im Labyrinth des Schweigens verloren haben.» Im September 1963 versuchte Giauque sich umzubringen, wurde jedoch von seiner Mutter gerettet. Ende Juli 1964 aber starb die Mutter unvermittelt an einer Embolie. «Was soll ohne dich aus uns werden», rief er ihr im Gedicht «Mère» nach, «Du allein hast gewusst, / welche Hölle ich seit Jahren bewohnte. / Ich hab nicht Ja gesagt zu diesem Abschied / und zulassen werd' ich ihn nie, / ich denke nichts anderes, / als wie ich dich wiederfinde / während das Leben mir entweicht.» Den nächsten Suizidversuch verhinderten Vater und Schwester, dann internierte man ihn in der Klinik von Boudry am Neuenburgersee. «Neues und starkes Bedürfnis, mich umzubringen», steht im Februar 1965 im «Tagebuch aus der Hölle». «Diesmal aber wird es nicht missglücken.» Am 11. Mai 1965, anderthalb Monate nach dem 31. Geburtstag, war es dann soweit: In einem unbewachten Moment verliess Giauque die Klinik und suchte den Tod im Neuenburgersee. «Wenn ich sterbe», lautet eines seiner ergreifendsten Gedichte, «morgen vielleicht, / begrabt mich in feuchter Erde, / schwer von der Wärme. / Das Gewölbe aus Brettern / sei der Himmel über meinem Schlaf./ Und niemand soll weinen. / Ich, der ich nicht zu leben wusste, / werd' mich dann endlich erheben können / in die helle Klarheit der Nacht.»

Reprinted by Huber Nr. 37: Francis Giauque: «Die Glut der Schwermut im Schattenraum der Nacht».


NZZ am Sonntag vom 20.10.2019

St. Galler Tagblatt vom 16.11.2019

Bieler Tagblatt vom 31.01.2020

Der Bund vom 08.02.2020

Luzerner Zeitung vom 08.02.2020

Tages Anzeiger vom 14.02.2020

Basler Zeitung vom 14.02.2020

Programmzeitung Basel