Sein Protest hiess Schweigen: Kurt Tucholsky (1890-1935)

1907 druckt der «Ulk», eine Beilage des «Berliner Tageblatts», anonym ein Märchen, das die Avantgarde der deutschen Kunst in einer Flöte symbolisiert und mit dem Satz endet: «Und was machte der Kaiser damit? Er pfiff drauf.» Der freche Text führt einen 17jährigen Berliner Studenten, der 1914 in Jena den Dr.jur. machen wird, in die Publizistik ein. Bis 1932 schreibt er im «Vorwärts», im «Flieger» (den er als Weltkriegssoldat redigiert), in der «Vossischen Zeitung», vor allem aber in der «Weltbühne», zu deren Starautor er avanciert, unzählige Glossen, Satiren, Polemiken und Gedichte, die zum Schärfsten, Gekonntesten, Träfsten zählen, was deutsche Zeitungen je publizierten. Peter Panter, Ignaz Wrobel, Kaspar Hauser, Paulus Bünzly waren die Pseudonyme, mit denen der jüdische Kaufmannssohn Kurt Tucholsky seinen Schreibfleiss tarnte, und es ist kaum zu fassen, dass der Mann, den die Nazis fürchteten wie keinen zweiten und dessen Werke sie 1933 als erste verbrannten, auch die poetischen Liebesromane «Rheinsberg» und «Schloss Gripsholm» schrieb. Obwohl er «jede Frau mit seiner Schreibmaschine betrog», war der korpulente Melancholiker ein passionierter Romantiker und schrieb wunderbare Liebesbriefe. Die ergreifendsten an die in Zürich wirkende Berner Ärztin Hedwig Müller, die er «Nuuna» nannte und der er 1932-1935 nicht nur täglich schrieb, sondern für die er mit seinem «Q»(uatsch)-Tagebuch auch das Gelübde brach, mit dem er auf Hitler reagiert hatte: nicht nur ein «aufgehörter Deutscher», sondern auch ein «aufgehörter Schriftsteller» zu sein. Der Vatikan habe den Christbaum zur heidnischen Sache erklärt, frozzelt er am 17.Dezember 1935 aus Schweden, wo er so gerne eingebürgert worden wäre. «Wer Deutschland zu Weihnachten gesehen hat, weiss, wie klug dieser Schachzug ist.» Ins «Q»-Tagebuch aber notiert er: «Er ging leise aus dem Leben fort wie einer, der eine langweilige Filmvorführung verlässt, vorsichtig, um die andern nicht zu stören.» Am 21.Dezember 1935 starb Tucholsky im Spital von Göteborg an einer Überdosis Veronal.