Fridolin Tschudi

Zwanzig Jahre lang, von 1945 bis anfangs 1966, brachte die Weltwoche auf jeder Titelseite ein Gedicht. Es waren, nach Art von Kästner, Wilhelm Busch und Morgenstern fabriziert, humoristische Reimverse, und es gab für sie kein Tabu und keine undenkbaren Themen. Bankgeheimnis und Transistorenklänge, Schrebergärten und asiatische Grippe, der abendliche Winterwald, die Konversation in der Theaterpause - alles konnte ins Visier dieses unverdrossenen Reimers geraten. Allerdings: in politische Händel mischte er sich nicht, und Namen nannte er gewöhnlich keine.
Die Verse, denen man später im Nebelspalter und zuletzt gesammelt in Peter Schifferlis Sanssouci-Bändchen wieder begegnen konnte, stammten von Fridolin Tschudi, einem Glarner Juristen, der sich in Zürich als Cabaret-Texter, Fabrikant von Werbesprüchen, freier Journalist und Verseschmied durchschlug, bis er am 5. Januar 1966 im Alter von erst 53 Jahren einem Herzinfarkt erlag. Zwei Tage später erschien sein letztes Gedicht. Es zeugte von einer gewissen Ratlosigkeit und Resignation, endete aber dennoch trotzig mit der Strophe:

»Ohne jeden Mitarbeiter
schreib ich drum - im Busen keimt es –
als mein eigner Fronknecht weiter:
Ungereimtes und Gereimtes.«

Wie für Friedrich Dürrenmatt, so waren im Grunde auch für Fridolin Tschudi die beginnende Hochkonjunktur und deren Auswüchse gleichzeitig Stoff und Zielscheibe des Dichtens. Nur begnügte sich Tschudi da, wo Dürrenmatt das Verhalten der Zeitgenossen virtuos ins Groteske steigerte, mit einer liebevoll-ironischen, aber immer präzisen Schilderung, die das Gemeinte ganz von selbst als belächelnswert entlarvte. Obwohl er zuweilen durchaus auch Böses über das Land, »wo die Neurosen blühen«, sagen konnte: Fridolin Tschudi warf keine Bomben. Er beobachtete lange und stach unversehens mit haarfeinen Nädelchen zu. Welches aber war das Gegenbild, die Alternative, die der skeptische Poet der Zeit entgegenstellte? Sie entsprach nur zu genau den unpolitischen fünfziger und sechziger Jahren und hiess Heiterkeit, Geniessen und Geniessenlassen. Die existentielle Bedrohung der Kriegsjahre war zwar heil überstanden, aber bereits zeigte sich, dass der Wirtschaftsboom das Leben nur materiell reicher, jedoch nicht lebenswerter machte. Die Verstörung der Zeit formal und inhaltlich in die Dichtung hineinzunehmen - das widersprach Tschudis Naturell. Und so blieb ihm nur, der Vergötzung von Wohlstand und Technik in sorgsam gedrechselten schönen Versen seine leicht altmodisch anmutende anakreontische Idylle entgegenzustellen:

»Mit Verstand ein Weinlein schlürfen,
froh sein, dass wir leben dürfen,
eine hübsche Jungfer küssen,
nie sich sklavisch ducken müssen ...«


Tschudis Verse sind in mehreren Bänden bei Sanssouci, Zürich, greifbar.
(Literaturszene Schweiz)