Vom Glück des einfachen Lebens: Henry David Thoreau (1817-1862)

Die Zeit zwischen dem 4.Juli 1845 und dem 6.September 1847 verbrachte der Harvard-Absolvent und Lehrer Henry David Thoreau in einer selbstgebauten Blockhütte am Waldensee, vier Kilometer von seiner Geburtsstadt Concord, Massachusetts, entfernt. «Walden: or, Life in the Woods» betitelte er das Buch, das er 1854 darüber publizierte und das Hermann Hesse, obwohl es nur die Tagebuchnotizen von jenem Aufenthalt versammelt, als das «schönste und tiefste Buch der amerikanischen Literatur» bezeichnet hat. Über das Brotbacken wird da philosophiert, über den Wert des Unkrauts, den Gesang der Vögel, die Farbe des Wassers und den Beruf des Holzfällers. Aber immer geht es letztlich um die Frage, was wirkliche Freiheit sei und darum, was wir tun müssten, um bewusster, einfacher und im Zeichen von Nüchternheit und Enthaltsamkeit sinnvoller zu leben. Obwohl Ökologe und «Grüner» avant la lettre, war Thoreau kein weltfremd-unpolitischer Phantast. Den Schuldienst hatte er quittiert, um gegen die Prügelstrafe zu protestieren. Als man ungerechtfertigte Steuern von ihm verlangte, ging er ins Gefängnis und konterte mit dem Vortrag: «Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat». Und als der militante Skavereigegner John Brown gehenkt wurde, verglich er den verhassten «Staatsfeind» in einer lyrischen Hommage mit Christus. Vieles ist zeitbedingt, was Thoreau in seinen insgesamt 36 Bänden Tagebuch formuliert hat. Stupend modern aber ist der Umstand, dass er nicht wie Karl Marx eine Reform der Gesellschaft, sondern eine Erneuerung des Individuums anstrebte. «Ich zog in den Wald» heisst es im Kapitel «Wo und wofür ich lebte», «weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hatte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte. »