David F. Strauss 1808–1874

Als im April 2013 der holländische Pfarrer Klaas Hendrikse in der Zürcher Offenen Kirche St. Jakob verkündete, mit einem «personalen Gott irgendwo im Himmel» könne man «den Leuten nicht mehr kommen», trat Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist als Gesprächspartner auf – kurz davor hatte der Theologische Verlag Zürich (TVZ) Hendrikses Buch «Glauben an einen Gott, den es nicht gibt» auf Deutsch herausgebracht. 180 Jahre zuvor noch hatte in der Zwinglistadt ein ganz ähnliches Buch zu einer veritablen Revolution geführt. «Ich könnte meinem Buch grollen, denn es hat mir viel Böses getan», merkte sein Autor Jahrzehnte später an. «Es hat meinen Lebensgang einsam gemacht. Und doch, bedenke ich, was aus mir geworden wäre, wenn ich das Wort, das mir auf die Seele gelegt worden war, verschwiegen hätte – dann segne ich das Buch, das mich zwar äusserlich geschädigt, aber die innere Gesundheit des Geistes und Gemüts mir, und ich darf mich trösten, auch manchem anderen noch, erhalten hat.» Es handelte sich um den am 27. Januar 1808 in Ludwigsburg geborenen, seit 1832 am Stift Tübingen tätigen reformierten Theologen David Friedrich Strauss. Sein Buch «Das Leben Jesu» erschien 1835, es postulierte, Jesus sei eine «Idee» und nicht eine historische Person gewesen, die Wunder aber seien naturwidrig und nur «mythisch» erklärbar. Strauss, der kurz nach der Veröffentlichung seiner Streitschrift vom Tübinger Stift nach Ludwigsburg versetzt wurde, löste mit den Thesen eine hitzige, jahrzehntelange Kontroverse aus, die das philosophische System des Hegelianismus zum Einsturz brachte, bis zu Marx und Feuerbach weiterschwelte und einen ersten Höhepunkt erreichte, als der streitbare Theologe Anfang 1839 als Professor für Dogmatik nach Zürich berufen wurde. Mit einer Unterschriftensammlung erreichte das konservative Landvolk, dass Strauss schon vor Amtsantritt mit einer Monatsrente von tausend Franken pensioniert wurde. Es gab sich damit aber nicht zufrieden, sondern führte am 6. September 1839 im «Züriputsch», der 14 Todesopfer forderte, den Sturz der liberalen Zürcher Regierung herbei. Strauss lebte, ohne jemals wieder eine Stelle zu bekommen, als freier Schriftsteller in Deutschland und vereinsamte zusätzlich, als seine Ehe mit der Sängerin Agnes Schebest scheiterte. Obwohl er mit dem «Leben Jesu» der Theologie neue Wege gewiesen und sich keineswegs als Gottesleugner verstanden hatte, entfernte er sich in der Folge in Werken wie «Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampf mit der modernen Wissenschaft» (1840/41) immer weiter vom Standpunkt der reformierten Kirche und stellte in «Der alte und der neue Glaube», seinem letzten, zwei Jahre vor seinem Tod am 8. Februar 1874 erschienenen Werk, das Christentum schlussendlich radikal in Frage. Der Glaube an Teufel und Sündenfall sei grotesk, die Dreifaltigkeit eine Zumutung, die Auferstehung ein Humbug, die einzig denkbare Alternative zum christlichen Glauben an Gott sei «eine sich auf das als gesetzhaft funktionierend verstandene Universum gerichtete Religiosität». Positionen, die sogar dem jungen Nietzsche zu weit gingen, obwohl dieser 1882 in der «Fröhlichen Wissenschaft» ausrufen sollte: «Wohin ist Gott? Ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet.» Karl Barth aber urteilte: «Der Name Strauss ist das böse Gewissen der neueren Theologie geblieben.»