Otto Steiger

The Maltese Falcon, John Hustons düsterer Krimi mit Humphrey Bogart, bildete 1941 den Anfang einer ganzen »Schwarzen Serie« des amerikanischen Films. Auch Frankreich hatte damals seinen »film noir«: Kino, das sich nicht gegen die deutschen Besetzer richtete und dennoch der herrschenden, äusserst deprimierten Stimmung Ausdruck gab. Dem Schweizer Film jener Jahre wies vielleicht einzig Hans Trommers Romeo und Julia auf dem Dorfe eine ähnliche Richtung. Dafür gab es in der damaligen Schweizer Literatur - allerdings als untypische Ausnahmeerscheinung - etwas Vergleichbares: eine Art »Schwarzen Roman«! Er stellte zwar den patriotischen Durchhalte-Optimismus nicht in Frage und erwähnte den Krieg, wenn überhaupt, nur ganz beiläufig, brachte aber dennoch die Atmosphäre von Angst und Ratlosigkeit angesichts der äusseren Bedrohung und der inneren Zwangspolitik unverblümt zum Ausdruck. Es verwundert nicht, dass die Büchergilde Gutenberg, die ihr Programm damals gerne durch Wettbewerbe bestimmen liess, dem »Schwarzen Roman« noch am ehesten offenstand. Dort ist denn 1944 auch der Roman, den die poetische Kraft der Verneinung am eindrücklichsten prägte, Lore Bergers Barmherziger Hügel, erstmals erschienen. Bereits 1941 aber hatte die Büchergilde zwei Romane prämiert, die unverkennbar den beschriebenen »schwarzen« Charakter trugen: Sie tun als ob sie lebten von Otto Steiger und Wenn die Stadt dunkel wird von Hermann Schneider (1901-1973).
Steigers Roman behandelt die Lebensgeschichte einer Frau namens Anna Schwander. Sie ist Serviertochter, heiratet einen Polizisten, bekommt ein Kind, erlebt die Karriere ihres ungeliebten Mannes mit, wird Grossmutter, schliesslich Witwe und muss erkennen, dass sie das, was sie ein Leben lang erwartet hat - Glück? Liebe? -, nun auch nicht mehr finden wird. Es ist eine karge, schmucklose Geschichte, die da erzählt wird, aber sie wickelt sich mit derart gnadenloser Konsequenz ab, dass der Leser davon unmittelbar betroffen ist. Jedesmal ist Anna um eine Illusion ärmer, jedesmal baut sie sich aus den Trümmern der alten eine neue, etwas kleinere zusammen, um schliesslich einen faden himmlischen Trost gegen ein nicht mehr lobenswertes Leben einzutauschen. Vor solch deprimierendem Hintergrund wirken dann einzelne helle Szenen - Annas Flirt mit einem jungen Bauern z. B. - wie Schlaglichter auf eine glücklichere, den Menschen dieses Buches und dieser Zeit aber letztlich verschlossene Welt. »Denn es waren«, heisst es einmal, »allgemein schwere Zeiten, und man wusste wirklich nicht, wie das noch kommen sollte, wenn es so weiterging.«
Ob die Illusionslosigkeit als Autor Steigers damalige Funktion als offizieller Regierungssprecher irgendwie kompensieren musste, bleibe dahingestellt. Jedenfalls stehen auch punkto Gesellschafts- und Sozialkritik Dinge in diesem dichten, gekonnt geschriebenen Buch, die der Autor über Radio Beromünster niemals hätte sagen können!




Seit 1985 bringt der Zürcher eco-Verlag Otto Steigers Werke in Einzelbänden gesamthaft neu heraus.
(Literaturszene Schweiz)



Steiger, Otto

* 4. 8. 1909 Uetendorf/Kt. Bern. - Erzähler, Jugendbuchautor.

S. begann in Bern ein Romanistikstudium, das er in Paris fortsetzte, bis er es aus finanziellen Gründen aufgab u. sich als Lehrer, Handlungsreisender u. Stahlarbeiter durchbrachte. 1939 wurde er Nachrichtensprecher der SDA in Bern, 1943 gründete er in Zürich eine private Schule, die er bis 1954, als er sich ganz dem Schreiben zuwandte, mit Erfolg leitete.
Literarisch debütierte er mit dem Roman Sie tun als ob sie lebten (Zürich 1942), einem realistisch-ungeschminkten Bericht über das Leben einer Proletarierin vor dem Hintergrund vielfältiger Abhängigkeit u. sozialer Not. Mit seinem Pessimismus u. seiner Ratlosigkeit hob sich das Buch deutlich ab von der patriotisch-optimistischen Literatur der »geistigen Landesverteidigung« u. konnte wohl nur deshalb erscheinen, weil es in einem Romanwettbewerb der gewerkschaftl. »Büchergilde« einen Preis gewonnen hatte.
S. behielt auch in seinen weiteren Werken seine stark gesellschaftskrit. Sehweise bei u. stand mit seiner - auch formal - an den sozialistischen Realismus erinnernden Schreibweise in deutl. Gegensatz zur zeitgenöss. Schweizer Literatur. Porträt eines angesehenen Mannes (ebd. 1952) bietet eine niederschmetternde Lebensrückschau eines (oberflächlich gesehen) erfolgreichen Protagonisten der bürgerl. Gesellschaft. Im Roman Die Reise ans Meer (ebd. 1959) erzählt ein gescheiterter Großunternehmer dem Analytiker im Irrenhaus seine Geschichte. Auch Spurlos vorhanden (ebd. 1980; R.) ist ein Lebenslauf aus dem Irrenhaus: Erst dort ist es Benjamin Stab möglich, die verlogene Selbstgerechtigkeit seiner Umgebung zu durchschauen.
S., der aufgrund eines kurz nach dem Ungarnaufstand erfolgten Rußlandbesuchs in der Schweiz lange als kompromittiert galt u. erst 1985-1989, als der Zürcher eco Verlag seine Werke in acht Bänden neu auflegte, eine gewisse Rehabilitation erfuhr, begann ab 1974 mit Titeln wie Einen Dieb fangen (Ravensburg 1974), Erkauftes Schweigen (Zürich 1979) u. insbes. Lornac ist überall (ebd. 1980) eine zweite literarische Karriere als vielgelesener Jugendbuchautor.
WEITERE WERKE: Die Brüder Twerenbold. Zürich 1954 (R.). - Das Jahr mit elf Monaten. Ebd. 1962 (R.). - Das Loch in der Schallmauer. Ebd. 1968 (E.). - Der Doppelgänger. Ebd. 1985 (R.). - Orientierungslauf. Ebd. 1989 (R.).
(Bertelsmann Literaturlexikon)

Steiger, Otto

*Uetendorf (BE) 4.8.1909, Schriftsteller. Nach Schulzeit und Matura in Bern und einem längeren Frankreichaufenthalt war S. ab 1939 Redaktor der Schweiz. Depeschenagentur und wurde als Nachrichtensprecher bei Radio Beromünster bekannt. 1943 eröffnete er in Zürich eine private Handelsschule. Mit seinem ersten Roman, »Sie tun als ob sie lebten« (1942), gewann er 1941 den 3. Preis im ersten Romanwettbewerb der Zürcher Büchergilde Gutenberg. Charakterist. für sein ganzes Œuvre wurden folgende Eigenschaften: Einfachheit des sehr volkstüml., konventionell-realist. Stils, Neugierde und Engagement für Aussenseiter und sozial Benachteiligte, Nüchternheit und banale Alltäglichkeit in Atmosphäre und Milieu. Deutl. ausgeprägt war dies v.a. in »Porträt eines angesehenen Mannes« (R., 1952) und in »Spurlos vorhanden« (R., 1980). Zur Zeit des kalten Krieges wurde S. seines linken Engagements und einer Moskaureise wegen von der bürgerl. Presse ignoriert. Einzelne seiner Werke wurden ins Russische übersetzt und erreichten insgesamt eine Auflage von 500000 Exemplaren. Mit über 60 Jahren startete S. noch eine erfolgreiche Karriere als Jugendbuchautor. Seit 1985 erscheint eine S.-Werkausgabe (bis 1992 9 Bde.).
(Schweizer Lexikon)