Vom Entdecker zum Eroberer: Henry Morton Stanley (1841-1904)

«Enough!» lautete Henry Morton Stanleys letztes Wort, bevor er am 10. Mai 1904 63jährig in London starb. Was sich nicht auf seine Afrikaexpeditionen, sondern auf die letzten schweren Jahre bezogen haben dürfte, als er wie ein lebendes Denkmal seiner selbst von Vortrag zu Vortrag reiste und sich auf Drängen seiner ehrgeizigen Gattin Dorothy mit wenig Glück als Unterhausabgeordneter versuchte. Zu Ruhm gekommen war Stanley 1871, als der junge Journalist sich im Auftrag des Zeitungsmagnaten Gordon Bennett auf die Suche nach dem in Afrika verschollenen Missionar David Livingstone machte und den endlich Gefundenen mit den Worten «Dr. Livingstone, I presume?» begrüsste. Damals, mit «How I Found Livingstone», spielte sich ein, was sich vielfach wiederholte: Stanley verarbeitete die Abenteuer innert kurzem zum Bestseller und finanzierte damit die nächste Reise. So 1878 mit «Trough the Dark Continent» (zum Oberlauf des Kongo und die berüchtigten Stromschnellen hinunter zum Meer), 1885 mit «The Congo and the Founding of its Free State» (die Annexion des Kongogebiets für den Belgierkönig Leopold II, der später für die schlimmsten Verbrechen gegen die Bevölkerung Afrikas, die sogenannten Kongo-Morde, verantwortlich sein sollte), 1890 mit «In the Darkest Africa» (die 6 Monate dauernde Durchquerung des zentralafrikanischen Urwalds auf der Suche nach dem Gouverneur Emin Pascha). Ursprünglich Journalist und Reporter, war Stanley in kurzer Zeit zum modernen Konquistador im Dienste eines hybriden Kolonialismus geworden, und wenn es für den noch jahrzehntelang als Helden des britischen Empire gepriesenen «Entdecker Afrikas» eine Entschuldigung gibt, dann einzig die, dass er sich nie mit Latifundien und Machttiteln bestechen liess, sondern bis zuletzt allein von seinen Honoraren lebte. Nicht schlecht allerdings, denn «In the Darkest Afrika» z.B. brachte ihm stolze 25 000 Pfund ein, ehe er eine einzige Zeile geschrieben hatte.