Peter Stamm * 1963

«Wenn du unsterblich werden willst, musst du dir einen Berühmteren suchen», sagt der junge Schweizer Autor zur Physikstudentin Agnes, die ihn in der Chicago Public Library gefragt hat: «Könntest du nicht eine Geschichte über mich schreiben?» Wer aus so einem Plot einen zutiefst bewegenden Roman zu schreiben vermag, kann kein Anfänger sein, und der am 18. Januar 1963 in Scherzingen TG geborene Peter Stamm hat denn auch eine vielfältige Berufs- und Schreiberfahrung hinter sich gehabt, als ihm 1998 der Erfolg mit «Agnes» gelang. Er war Buchhalter in Paris, studierte Anglistik und Psychologie, verfasste Satiren für den «Nebelspalter», redigierte eine Literaturzeitschrift und schrieb nicht weniger als vier unveröffentlichte Romane. Das Buch aber, das mit dem Satz «Agnes ist tot» anfängt, schlug in seiner Mischung aus traurigem Liebesroman und literarischem Vexierspiel so sehr ein, dass es auch vierzehn Jahre, drei Romane und vier Erzählbände später noch immer wie verrückt gelesen wird und noch 2012 in einer Riesenauflage von den Schulen Baden-Württembergs zur Pflichtlektüre erhoben wurde. Dabei ist Stamm keineswegs ein Autor, dem der eigene Erstling zur Konkurrenz würde. Seine weiteren Romane halten nicht nur das Niveau des ersten, sondern zeugen auch von einer bemerkenswerten Steigerung seines Könnens. So spiegelt «Ungefähre Landschaft» (2001) die melancholische Seelenstimmung einer Norwegerin eindrücklich in der nordischen Landschaft. «An einem Tag wie diesem» (2006) lässt einen nicht mehr ganz jungen Lehrer im Zeichen einer drohenden Krankheit abrupt von einem Leben Abschied nehmen, das letztlich nur aus Enttäuschung und Lügen bestand. «Sieben Jahre» (2009) stellt auf packende Weise einen Mann zwischen zwei Frauen und lässt ein fast magisches, unergründliches Gefühl für eine unansehnliche Person über die Liebe zu einer glanzvoll-schönen Rivalin triumphieren. Sein Bestes hat Stamm, der mit «Après Soleil» oder «Der Kuss des Kohaku» auch als Dramatiker in Erscheinung trat, in den bisher 42, auf 4 Bände verteilten Erzählungen vorgelegt. Schon im Band «Blitzeis» bewies er 1999, wie er auf wenigen Seiten eine Szenerie zu evozieren vermag, die Stoff für ganze Romane bieten würde. Wie seine Erzählweise bei aller Nüchternheit schon gleich eine latente Spannung und ein erotisches Flair erzeugt, das einen bis zum letzten Satz bei der Stange hält. Und dies, obwohl Humor und Glücksmomente in seinen Texten eher selten sind und hinter allem als Motto ein Satz aus «Agnes» stehen könnte, der behauptet: «Glück macht keine guten Geschichten.» Die weiteren Erzählbände heissen «In fremden Gärten» (2003), «Wir fliegen» (2008) und «Seerücken» (2011), und es scheint, als habe Stamm im Laufe der Jahre zu einem immer knapperen, exakteren Erzählen gefunden, das bei aller Realistik immer nur so viel ausplaudert, wie unbedingt nötig ist, und den Figuren so viel wie möglich von ihrem Geheimnis lässt. Bis auf jene Texte von «Seerücken», die in der Bodenseegegend spielen, meiden Stamms Erzählungen und Romane den Schweizer Schauplatz. Für Kinder und Jugendliche aber hat er, inspiriert durch seine zwei geschichtenhungrigen Buben, die Scheu dem Herkommen gegenüber für einmal abgelegt und nicht nur «Heidi» (2008), sondern auch den «Schweizerischen Robinson» (2012) neu und quicklebendig nacherzählt.

NZZ am Sonntag vom 26.10.2014

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