Anita Siegfried *1948

Über dem Tor schrumpfen die Köpfe der getöteten Feinde zu ledrigen Fratzen, draussen stinkt’s nach Hühnermist, drinnen nach ranzigem Fett, und die fünfzehnjährige Macha muss einigen Spott über sich ergehen lassen, wenn sie sich unten im See mit Leinöl und Pottasche die Haare wäscht. Nichts weniger als eine Stammesfehde aber beschwört sie herauf, als sie beschliesst, nicht den für sie bestimmten Gaël zum Mann zu nehmen, sondern mit dem Händler Laris in dessen etruskische Heimat zu ziehen. «Mond im Kreis» und «Bis Tag und Nacht sich gleichen» heissen die 500 vor Christus spielenden Jugendromane, mit denen die Archäologin Anita Siegfried 1993/94 unter Verwendung ihrer Erfahrungen bei Ausgrabungen auf dem Üetliberg debütierte. Was die «NZZ» dazu schrieb, dass nicht Wissensvermittlung, sondern eine «seltsam spannende, manchmal rührende und angenehm befremdende Geschichte» im Vordergrund stehe, trifft auch für Anita Siegfrieds weitere Bücher zu. So stellt «Alinors Lied» von 1996 die Vita einer mutigen jungen Frau in ein vitales Panorama der Kreuzzüge hinein, machtin «Der blaue Schal» (1998) die fünfzehnjährige Fanny bei der Begegnung mit Bildern des Amsterdamer Rijksmuseum wichtige Entdeckungen über sich selbst, mutiert in «Max ist los» (2001) die Geschichte vom Äffchen, das aus einem Brueghel-Gemälde im Kunsthaus ausreisst, nicht zuletzt dank den Bildern von Claudia de Weck zu einer witzigen Zürcher Stadtführung der anderen Art, lernen wir in «Glück gehabt», dem SJWBastelheft über Augusta Raurica von 2008, genauso nachvollziehbar zwei junge Menschen einer ganz anderen Zeit kennen, wie uns «Der Rote Ritter Parzival» im SJW-Band von 2009 als ein Heranwachsender erscheint, der nicht anders als heutige junge Menschen um Orientierung ringt. Dass Anita Siegfried, selbst Mutter zweier Töchter, durchaus auch in der Gegenwart zu Hause ist, zeigen ihre geglücktesten Jugendbücher: das ganz aus seinem altersgerechten Idiom heraus entwickelte Psychogramm des zehnjährigen Michi in «Cola-Fröschchen» (1997) und die behutsame Annäherung an die Seele eines vierzehnjährigen Mädchens, das die Nacht und ihre verschwiegene Poesie für sich entdeckt, in «Kleine Schwester der Nacht» von 1999. Der Übergang zum Erwachsenenbuch gelang Anita Siegfried 2000 bruchlos mit dem Roman «Am Ufer des Tages», in dem sie den archäologischen Blick – auf einen einzigen Tag fokussiert –auf die eigene Basler Kindheit richtet. Die fünfziger Jahre zwischen Rock ’n’ Roll und Atomangst werden da ebenso intensiv spürbar wie der beklemmende Alltag in einer Familie, die einen psychisch kranken Vater zu verkraften hat. Ein Trauma steht auch im Mittelpunkt des zweiten Romans, «Mira – Stella mirabilis» von 2004, in dem eine junge Frau nur mühsam aus der Not herausfindet, in die sie die überstürzte Heirat und der plötzliche Tod ihres Kindes versetzten. Den Höhepunkt ihres Schreibens aber erreichte Anita Siegfried 2007 mit «Die Schatten ferner Jahre». Auf exakten Recherchen basierend, entwickelt der Roman ein plastisches Bild des Viktorianischen Zeitalters und zeichnet das kurze Leben von Lord Byrons exzentrischer Tochter Ada Lovelace, einer genialen Mathematikerin, nach. Das eigentlich Verstörende an dem Text aber ist, wie Ada sich gegen das Verbot ihrer Mutter nach und nach Aufschluss über das wahre Wesen ihres längst verstorbenen Vaters verschafft und zuletzt am Gegensatz zwischen den tödlich verfeindeten Eltern zerbricht.