«Murx den Europäer!/Murx ihn!»: Paul Scheerbart

Er nährte sich von geschabtem Hering auf Brot, aber in «Tarub, Bagdads berühmte Köchin» erfand er 1897 die raffiniertesten Menüs aller Zeiten: serviert im Bagdad des Jahres 997 von seiner Gattin Anna, die er zärtlich «Bär» nannte. Bahnfahrten waren ihm unerschwinglich, aber die Romane «Liwûna und Kadôh» , «Lesabéndio» und «Na Prost!» liess er allesamt im Weltraum spielen. In keinem paradiesischen allerdings, denn die drei javanischen (!) Kritiker Passko, Kusander und Brüllmeyer, die 1898 in «Na Prost!» ihre gläserne Rakete besteigen, erstarren im Weltraum am Ende zu Flaschengeistern. Mitten im Naturalismus verkündete Paul Scheerbart das Zeitalter des Phantastischen, folgte in seinen utopischen Entwürfen konsequent seiner Phantasie und antizipierte nicht nur den Dadaismus, sondern auch das absurde Theater. Ersteren 1897 mit dem allerersten Lautgedicht in deutscher Sprache, letzteres mit dem Ballett «Kometentanz» (1900) und der «Revolutionären Theaterbibliothek», die 1904 in 22 grotesken Szenen radikal mit allem Bisherigen brach. Auch die Baukunst belieferte er mit Phantastischem wie dem 1914 von Bruno Taut realisierten Glashaus, und was er an Technischem austüftelte, erregt noch immer Erstaunen. So sah er im Roman «Das grosse Licht» 1912 das Fernsehen voraus, und das Perpetuum mobile, an dem er viele Jahre herumlaborierte, ermöglichte 1910 zumindest eines seiner originellsten Bücher. Am besten zu vermitteln aber ist Scheerbart wohl noch mit der «Katerpoesie», die 1909 gesammelt erschien und in der sich wilder Nonsens mit provokativer Gesellschaftskritik vermischte. «Murx den Europäer!/Murx ihn!/ Murx ihn!/Murx ihn ab!» heisst einer der Verse, aber die wenigsten werden an Scheerbart gedacht haben, als Christoph Marthaler 1993 damit Furore machte. Der Phantast starb am 15.Oktober 1915 mit 52 Jahren völlig unerwartet: «Donnerstag nachmittag 4 Uhr plötzlich unwohl. Gleich besinnungslos. Am Freitag Mittag 12 1/4 Uhr war er tot», schrieb Anna, der «Bär», eine Woche später Richard Dehmel.