Jakob Schaffner 1875–1944

«Dieser junge Zürcher Spiesser, der immer glücklich in das gemachte Bett gefunden hat und nun in einer Villa am Zürichsee Literatur treibt wie ein anderer den Drehstuhl, sich in einem kühlen Geschmäcklertum gefällt, von dessen künstlerischer Höhe aus er anderer Leute Leistungen mit dem umgekehrten Fernglas betrachtet, damit er sich selber desto grösser sehen kann: Was habt ihr in Zürich eigentlich gemacht, dass eine solche Figur sich ungestutzt auswachsen durfte?» Der Angriff steht in einem Brief vom 6. August 1922 an Felix Moeschlin, gilt dem Zürcher Autor und Professor Robert Faesi und fällt so scharf aus, weil Faesi den Verfasser, den in Berlin gefeierten Jakob Schaffner, mit Gottfried Keller verglichen und als zweitrangig beurteilt hatte. Jakob Schaffner war am 14. November 1875 in Basel als Sohn einer deutschen Magd und eines Herrschaftsgärtners zur Welt gekommen und hatte nach dem frühen Tod des Vaters und der Flucht der Mutter nach Amerika die Kindheit in der pietistischen Waisenanstalt Beuggen verbracht, die er in eben jenem Jahr 1922 in seinem Roman «Johannes» auf erschütternd-grossartige Weise beschreiben sollte. Schaffner hatte nur eine Schusterlehre machen dürfen, war als Geselle durch Europa gereist und hatte nach seiner Rückkehr in Basel für die Guttempler-Hefte Geschichten über das Leben auf der Walz und die künftige Grösse des deutschen Reiches verfasst. Durch Vermittlung Hermann Hesses kam er 1905 mit «Irrfa hrten» zum S. Fischer- Verlag und konnte von da an als Schriftsteller leben. «Konrad Pilater» stellte 1910 dar, wie ein Schuster die moderne Industrie und Technik für sich entdeckt, und bereits in «Hans Himmelhoch. Wanderbriefe an ein Welt kind» hatte Jakob Schaffner 1909 verkündet, dass nichtd er Poesie, sondern Wissenschaft und Technik die Zukunft gehöre. So wares denn nur konsequent, dass er, der den Ersten Weltkrieg demonstrativ in Berlin zugebracht hatte, nach 1919 dazu überging, in Werken wie «Die Weisheit der Liebe» oder «Mensch Krone» das Grossstadtleben in all seinen Höhen und Tiefen zu gestalten. Parallel dazu aber entstanden nach wie vor auch «schweizerische» Werke wie die in Basel spielenden «Glücksfischer» (1925) oder der autobiografische «Johannes»-Roman, den Jakob Schaffner bis 1939 zu einer Tetralogie ausweiten sollte. Schon Band 2, «Die Jünglingszeit», vor allem dann aber «Eine deutsche Wanderschaft» und «Kampf und Reife» waren stark mit dem chauvinistischen NS-Gedankengut durchwirkt, dem der in Deutschland grossgewordene Schweizer an der Seite seiner zweiten Frau, der aus Ostpreussen stammenden Julia Cuno, inzwischen verfallen war. Jakob Schaffner lieferte auch eigentliche NS-Propagandabücherund galt in der Schweiz, deren Unversehrtheit er durchs Band verteidigte, definitiv als Landesverräter, seit er 1940 als «V ermittler» an einem Frontisten-Empfang von Bundesrat Pilet-Golaz aufgetreten war. Erst nach Julia Schaffners Tod im Jahre 1941 kamer zur Besinnung, kritisierte die NS-Politik und fiel bei Goebbels in Ungnade. In die Schweiz konnte er nicht zurück, und so übersiedelte er von Berlin ins deutsch besetzte Strassburg, wo er am 25. September 1944 mit seiner dritten Frau, der 23-jährigen Schweizerin Renate Bissegger, einem Bombenangriff zum Opfer fiel. Politisch sollte Robert Faesi recht behalten, literarisch aber nicht, denn im Vergleich zu dessen Trilogie «Die Stadt der Väter » gebührt eindeutig dem «Johannes»-Roman des politisch in Ungnade gefallenen Jakob Schaffner die Palme.

Schaffner, Jakob
*Basel 14.11.1875, †Strassburg 25.9.1944, Schriftsteller. Nach ersten glückl. Kinderjahren in Basel kam der früh verwaiste S. in die pietist. Armenanstalt Beuggen (Südbaden), die ihn nachhaltig prägte und der er mit seinem bedeutendsten Buch, »Johannes. Roman einer Kindheit« (1922), ein literar. Denkmal gesetzt hat. Schriftsteller wurde S. erst über den Umweg einer Schusterlehre in Basel und einer langjährigen Gesellenzeit in Deutschland, wo er sich autodidakt. die Fähigkeit aneignete, das Schicksal kleinbürgerl. Menschen auf authent. Weise darzustellen. Mit »Irrfahrten« (R., 1905) publizierte S. den Prototyp jener für ihn charakterist. Lebensgeschichte eines ruhelosen Wanderers zw. bürgerl. Sesshaftigkeit und Abenteurertum, wie sie in »Konrad Pilater« (1910, nhg. 1982) und dem nach »Die Jünglingszeit des Johannes Schattenhold« (1930) dritten Band des »Johannes«-Zyklus, »Eine dt. Wanderschaft« (1933), ihre definitive Ausprägung finden sollte. Ein zentrales Thema dieser Romane ist die Faszination, die das Deutschland der Gründerjahre auf einen Schweizer Handwerksgesellen ausübte. Dem Land, in dem er nach 1905 zu einem anerkannten, vielgelesenen Schriftsteller geworden war, hielt S. lebenslang die Treue. Bereits im 1. Weltkrieg, den er in Berlin erlebte, aber auch nach 1933 stellte er sich, nicht zuletzt unter dem Einfluss seiner zweiten Frau, der dt.stämmigen, von Hitler begeisterten Julia Schaffner-Cuno, hinter Deutschland und seine Politik. Dies kommt v.a. in Essaybänden wie »Offenbarung in dt. Landschaft« (1934) oder »Berge, Ströme und Städte. Eine schweiz. Heimatschau« (1938) zum Ausdruck, kompromittierte aber, wie der Abschlussband des »Johannes«-Zyklus, »Kampf und Reife« (1939), auf fatale Weise zeigt, auch sein eigtl. dichter. Werk. S., der sich gleichzeitig als gläubiger Nationalsozialist und als überzeugter Eidgenosse fühlte, geriet in der Schweiz, wo er 1930 mit dem grossen Schillerpreis ausgezeichnet worden war, trotz mahnender Voten von A. Zollinger und C.A. Loosli nach 1933 in den Geruch des geistigen Landesverrats. Nach einer umstrittenen Bundesratsaudienz 1940, bei welcher S. zus. mit Frontenführern als »Vermittler« aufgetreten war, war sein Ansehen in der Schweiz so gesunken, dass – nach seinem Tod bei einer Bombardierung Strassburgs – sich seine Heimatgem. Buus (BL) zunächst weigerte, seine sterbl. Überreste auf ihrem Friedhof zu bestatten. Das Verhältnis zur Heimat war denn auch fast ausschliessl. der Gesichtspunkt, unter welchem der einstmals von O. Loerke und H. Hesse hoch geschätzte S. nach 1945 in der Schweiz noch diskutiert wurde. … Lit.: Fässler, P.: J.S., Diss., Zürich 1937; Bänziger, H.: J.S., in: Heimat und Fremde, Bern 1958; Schmid, K.: J.S. Der Ruf des Reichs, in: Unbehagen im Kleinstaat, Zürich 1963; Linsmayer, C.: J.S., Erzählungen bis 1920. Bibliographie und Inhaltsangabe, in: J.S.: Stadtgänge. Frühe Erzählungen, Zürich 1979; ders.: J.S., in: J.S., Konrad Pilater, Zürich 1982; Günther, W.: J.S., in: Dichter der neueren Schweiz, Bd. 3, Bern 1986; Bänziger, H.: Literar. Konsequenzen einer nat.-soz. Utopie. J.S., in: Knapp, G. (Hg.): Autoren damals und heute, Amsterdam 1991. (Schweizer Lexikon)