Meta von Salis-Marschlins 1855–1929

«Gleich sei die Frau dem Mann, ja fürwahr / So heisst das Wort, ihr missverstandet’s nicht, / gleich sei sie ihm an Rechten, gleich an Pflicht, / wie gleich an Mut in Stunden der Gefahr.» Aus fünffüssigen Jamben wie diesen bestand das Buch mit dem Titel « Die Zukunft der Frau», das die Aristokratin Meta von Salis-Marschlins 1886 in Zürich publizierte. Am 1. März 1855 auf Schloss Marschlins geboren, studierte die Tochter eines Naturforschers seit 1883 an der Universität Zürich Geschichte, als sie 1885 ein Semester lang in Basel den Historiker Jacob Burckhardt hören wollte. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt und provozierte eine Mehrheit der Basler Professoren zum Beschluss, Frauen gehörten «unter allen Umständen von der Teilnahme an den Vorlesungen ausgeschlossen». Nietzsche, der davon hörte, reagierte Franz Overbeck gegenüber zynisch: «Über die Massregel des Fräuleins von Salis habe ich gelacht. Das gehört unter die Feinheiten der agents provocateurs: Sie wollte genau das, was sie erreicht hat, eine Abweisung, um daraus Kapital zu schlagen.» Gleichsam als Retourkutsche publizierte Meta von Salis im Jahr darauf ihr Buch «Die Zukunft der Frau», das sich anhörte, als wolle sie im Namen all jener als «Blaustrümpfe» verlachten Frauen, die den Mut hatten, zu studieren, den Männern den Kampf ansagen. Ein erwachsenes Kind, das gesetzlich niemals mündig werde, ein Spielzeug und Lasttier für den Mann, eine Puppe oder ein Kochgenie – dies sei die Frau nun lange genug gewesen. Krieg und Misswirtschaft zeigten zur Genüge, wohin die Männerherrschaft die Menschheit bringe. Gleichberechtigung der Frau heisse von jetzt an die Losung, und sobald die verwirklicht sei, breche ein neues, glücklicheres Zeitalter an. 1892 bekam die Autorin, inzwischen erste Bündnerin mit Doktortitel, Gelegenheit zu praktischem Einsatz. Als die Zürcher Ärztin und Frauenrechtlerin Caroline Farner wegen Unterschlagung verhaftet wurde und die Presse schadenfroh triumphierte, gelang es ihr, die Rehabilitierung der Angeschuldigten zu erkämpfen. Der unterlegene Richter aber erreichte mit einer Verleumdungsklage, dass Meta von Salis ihrerseits ins Gefängnis musste. Nach dem Motto «lieber für ein höheres Recht leiden, als durch Unrecht gedeihen» trat sie in St. Gallen die Strafe an, konnte danach aber nur mit Mühe vom Verzicht auf das Schweizer Bürgerrecht abgehalten werden. 1904 jedenfalls verkaufte sie Schloss Marschlins und zog mit der Lebensgefährtin, der Lyrikerin Hedwig Kym, nach Capri. Gesichter der Schweizer Literatur Eine Serie von Charles Linsmayer Nr. 07/2014 Bibliografie «Philosoph und Edelmensch, ein Beitrag zur Charakteristik Friedrich Nietzsches» ist als Fischer-Taschenbuch greifbar. Bei Schwabe, Basel, erhältlich ist: Brigitta Klass Meilier, «Hochsaison in Sils-Maria: Meta von Salis und Friedrich Nietzsche». Meta von Salis im Originalton «Der Sommer kam, auch wenn die Schwalbe starb./ Wenn einst das Gras auf meinem Grabe nickt,/ Vielleicht, dass dann die Frau ihn sich erwarb. / Vielleicht. Doch wenn er wirklich einmal kommt, / So reut mich nicht der allzu frühe Flug, / Mag sein, in meiner Flügel Wehen trug / Ich eine Botschaft, die dem Sommer frommt.» («Die Zukunft der Frau», Zürich 1886, vergriffen) Meta von Salis-Marschlins 1855–1929 Foto: Schweizerisches Sozialarchiv Zürich Zwar spielte Meta von Salis mit ihren Schriften – den zwei Romanen «Die Schutzengel» (1889) und «Furchtlos und treu» (1891), Gedichten, Aphorismen und Vorträgen zur Frauenfrage – und als mutige Einzelkämpferin eine wichtige Rolle für die Frauenbewegung ihrer Zeit. Dennoch aber dankte die Anhängerin von Gobineaus Rassenlehre dem Schicksal, dass es sie «jenseits der ephemeren Bedeutung der Frauenfrage Elitemenschen – Frauen und Männer – als höchste Blüte der Kultur schauen und verehren liess». Einer davon war Friedrich Nietzsche, und tatsächlich stand die Bündner Aristokratin dem als Frauenfeind verschrienen Denker, dem sie ihre erfolgreichste Publikation, «Philosoph und Edelmensch» (1897), widmete, auch persönlich so nahe, dass sie gar als seine Auserwählte ins Gerede kam! Ganz undenkbar wäre das nicht gewesen, heiratete doch auch ihre Freundin Hedwig Kym schliesslich noch einen Nationalrat, sodass die Freundinnen 1910 von Capri nach Basel ziehen mussten. Dort ist Meta von Salis am 29. März 1929 gestorben.

Meta von Salis-Marschlins
*Schloss Marschlins (GR) 1.3.1855, †Basel 11.3.1929, Historikerin, Schriftstellerin, Frauenrechtlerin. Aus alter Bündner Aristokratenfam. stammend, studierte S.-M. in Zürich und Bern und erwarb 1887 an der Univ. Zürich als erste Frau einen philos. Doktorgrad. Als Studentin bereits hatte sie mit »Gedichte« (1881) und mit dem lyr. Pamphlet »Die Zukunft der Frau« (1886) literar. debütiert. Mit den beiden Romanen »Die Schutzengel« (1889) und »Furchtlos und treu« (1891) setzte sie dann ihre Bemühungen fort, feminist. Anliegen in die Dichtung einzubringen. Mehr Echo fand ihre Tätigkeit als Vortragsrednerin und Mitarbeiterin von Ztschr. wie dem »Bündner. Monatsblatt« oder der »Philanthropin«, dem Organ des Schweizer Frauenverbands »Fraternité«. Am erfolgreichsten war S.-M. mit ihrem Buch »Philosoph und Edelmensch. Ein Beitrag zur Charakterisierung F. Nietzsches« (1897), für das sie Gespräche mit dem ihr persönl. gut bekannten Philosophen von 1887 verwendete. Sie förderte später auch das Nietzsche-Archiv. Grosses Aufsehen erregte ihr Einsatz für die 1892 wegen Unterschlagung verurteilte Zürcher Ärztin und Frauenrechtlerin Caroline Farner, für die sie die jurist. Rehabilitierung zu erkämpfen vermochte, während sie selbst wegen Verleumdung des Richters zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Um die Jh.wende wandte sie sich weitgehend von den Zielen der Frauenrechtsbewegung ab, verkaufte Schloss Marschlins und lebte zus. mit ihrer Lebensgefährtin, der Lyrikerin Hedwig Kym, 1904-10 auf Capri und zuletzt in Basel. … Lit.: Schleicher, Berta: M.v.S.-M. Das Leben einer Kämpferin, Erlenbach 1932; Stump, Doris: M.v.S.-M., Diss., Thalwil 1986; dies. (Hg.): M.v.S.-M.: Die unerwünschte Weiblichkeit. Autobiographie, Gedichte, feminist. Schriften, Thalwil 1988. (Schweizer Lexikon)