Flannery O’Connor 1925–1964

Als Robert Fitzgerald 1968 die Farm Andalusia in Milledgeville, Georgia, besuchte, wo die am 25. März 1925 geborene Flannery O’Connor die letzten fünfzehn Jahre ihres Lebens zugebracht hatte, stiess er in ihrem Zimmer noch auf das Brevier, das Missale und die Bibel, die sie benutzt hatte, aber auch auf die Krücken, ohne die sie seit 1955 nicht mehr hatte gehen können. Mitten in den protestantischen Südstaaten hatte sie als gläubige Katholikin gelebt, sich durch ihren Glauben aber nicht eingeengt gefühlt. «Die Kirche ist weit entfernt davon, dem katholischen Autor Einschränkungen aufzuerlegen», war sie überzeugt, «sie bietet ihm im Gegenteil meist mehr Freiheiten, als er fähig oder willens ist, aufzunutzen.» Nach dem Motto «Wenn nichts passiert, dann gibt es auch keine Geschichte» sind ihre 31 Short Storys und ihre zwei Romane «The Violent Bear it Away» («Die Gewalt tun» ) und «Wise Blood» («Die Weisheit des Blutes») denn auch fern jeder Larmoyanz auf oftmals brutale, existenzielle Weise dramatisch, laufen aber fast immer auf eine religiöse Pointe hinaus. So handelt die Titelgeschichte von «Ein guter Mensch ist schwer zu finden» (1953) von einer Familie, die nach einem Autounfall in die Hände des berüchtigten Gangsters «Taugenichts» fällt und von dessen Kumpanen gnadenlos liquidiert wird. Während Sohn, Schwiegertochter und Enkel nach und nach in den Wald geführt und erschossen werden, versucht die Grossmutter aus dem Mörder verzweifelt den verborgenen guten Menschen herauszulocken und erklärt: «Wenn Sie beten würden, würde Jesus Ihnen helfen.» Der Killer aber erklärt: «Ich kann sehr gut allein fertig werden» und jagt der alten Frau drei Kugeln in die Brust. Ein katholischer Autor müsse jeder Wahrheit, auch der schlimmsten, ins Auge sehen, lautete Flannery O’Connors Credo, und in ihrem Glauben war sie nicht minder radikal. «Wenn es nur ein Symbol wäre», meinte sie zur eucharistischen Wandlung von Brot in den Leib Christi, «würde ich sagen, hol’ s der Teufel.» Mit fünf kam Flannery O’Connor in der Filmwochenschau, weil sie Hühner zum Rückwärtsgehen gebracht hatte. Mit fünfzehn verlor sie den Vater an der Erbkrankheit der Familie, Lupus erythematodes. Sie studierte am Georgia State College for Women und wurde 1946 in den Iowa Writer’s Workshop aufgenommen. 1949 lernte sie Robert Fitzgerald kennen, der sich bis zuletzt um sie kümmerte. «Wise Blood», der Erstling, war noch im Entstehen, als sie 1951 ihrerseits von Lupus erythematodes befallen wurde und sich ganz ins Elternhaus in Milledgeville zurückzog, wo praktisch ihr ganzes Werk entstand, während die Krankheit sie immer schwerer handicapierte. «Es geht mir recht ordentlich, meldete sie Fitzgerald 1954, «obwohl ich am Scheitel praktisch kahl bin und ein Gesicht habe wie eine Wassermelone.» Die Krankheit führte zur Erweichung der Knochen, sodass sie an Krücken ging, aber 1959 konnte sie sich dank einem Ford­Stipendium ein Auto leisten und überall herumfahren, «genau wie die blöden Erwachsenen». 1964 aber siegte der Lupus und führte zu einem Nierenversagen, an dessen Folgen sie am 3. August 1964 39­jährig starb. Man muss bloss ihre Geschichte «Offenbarung» lesen, die nur beschreibt, was eine Stunde lang im Wartezimmer eines Südstaatendoktors geschieht, um unwiderlegbar zu wissen, dass es keine Autorin, und schon gar keine christliche, gibt, die einen beim Lesen derart aufwühlen, verunsichern, erschrecken, aber auch beglücken kann.