Adolf Muschg

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es gibt Schriftsteller, für die ist der Weg zur Meisterschaft mit verunglückten Experimenten gepflastert, und es gibt andere, die treten gleich mit ihrem ersten Buch als virtuose Könner vor den Leser. Adolf Muschg, 1934 in Zollikon geboren, gelang mit Im Sommer des Hasen im Herbst 1965 zweifellos ein Debüt der letzteren Art. Der Roman, den der Deutsch-Lektor der Tokyo International Christian University da geschrieben hatte, kündigte nicht nur einen neuen Schweizer Autor an, mit dem in Zukunft zu rechnen sein würde. Im Sommer des Hasen sprengte auch mit einem Mal die Grenzen, die der scheinbar unverzichtbare helvetische Schauplatz der Schweizer Literatur bis anhin gesetzt hatte.
Für eine Jubiläumsschrift lässt der in Japan engagierte Inauen-Konzern sechs Schweizer Autoren vor Ort einen Beitrag über das fernöstliche Land und ihre Erfahrungen damit schreiben. PR-Chef Bischof, der die Stipendiaten in Japan aufsucht, verbindet mit der Aktion noch einen anderen Zweck: Er wird den geeignetsten unter den sechs Autoren als seinen Nachfolger vorschlagen - dass er Pius Gsell, den einzigen, der keinen Bericht abliefert, dafür wählt, bildet eine heimliche Pointe des Romans. Bischofs Erfahrungen mit den Schriftstellern und - indirekt nacherzählt - deren Berichte über Japan sind eingebaut in einen persönlichen Bericht, den der PR-Mann einige Zeit später in einer Schweizer Dorfbeiz niederschreibt und der an Konzernleiter Manuel Inauen gerichtet ist.
So komplex die formale Anlage erscheint, so locker-virtuos ist sie gehandhabt. Und in der vielfachen Brechung der Erzählperspektive ist es Muschg nicht nur gelungen, Hintergründiges über Japan, aber auch über die Schweiz, auszusagen, sondern die perspektivische Distanz ermöglichte es ihm auch, eine Fülle einprägsamer Geschichten zu erzählen. Am unvergesslichsten wohl ist die Geschichte der hoffnungslosen Liebe, die den Schweizer Wilfried Buser mit der japanischen Theologiestudentin Yoko verbindet. Diese feinsinnige Love-Story, die das Trennende und das Verbindende der zwei Kulturen auf intimstem Raum sinnlich fassbar macht, ist allein schon ein Grund, dieses Buch immer wieder zu lesen.
Dass auch Muschg selbst nach wie vor zu seinem Erstling steht, wird nicht zuletzt in Das Licht und der Schlüssel, seinem 1986 erschienenen, in Holland angesiedelten Vampir-Roman erkennbar. Er fügt dort nämlich dieses Werk mit Albissers Grund (1974) und Im Sommer des Hasen nachträglich zu einer Art Trilogie zusammen, indem er die drei Protagonisten Bischof, Zerutt und Samstag zu Teilhabern einer einzigen erzählerischen Identität erklärt. Aber noch an einen dritten Muschg-Titel fühlt man sich beim Wiederlesen seines Erstlings erinnert: an das viel zuwenig beachtete China-Buch Bayun von 1980. Damit nämlich lieferte Muschg 15 Jahre nach dem erstaunlichen Debüt von 1965 einen weiteren überzeugenden Beleg dafür, wie gut ein unschweizerischer Schauplatz der Schweizer Literatur bekommen kann.