Helen Meier (1929-2021)
Am 17.April 1929 als Lehrerkind in Mels SG geboren, bildete sich Helen Meier nach der Primar- und Sekundarschule am Lehrerseminar Rorschach zur Primarlehrerin aus und arbeitete mit einem Zwischenspiel als Mitarbeiterin bei der Tibeterbetreuung in Rikon bis 1987 als Primar- und Sonderschullehrerin in Thal SG, Mels SG, Schaffhausen und Heiden AR. Obwohl sie früh Gedichte und Erzählungen schrieb, begann sie sich erst um 1970 in Rikon ernsthaft als Schriftstellerin zu fühlen und erlebte 1984 mit einem Preis bei den Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Tagen und mit der Publikation des Erzählbandes «Trockenwiese» als 55jährige ihr literarisches Debüt. Belastende persönliche Erfahrungen, die Arbeit als Sonderschullehrerin und ein schonungsloser Blick auf die Welt trugen dazu bei, dass ihre Texte jenseits aller Idyllik von unglücklichen und tragisch scheiternden Menschen handeln, die in steter Gefährdung auf einer oftmals hoffnungslosen Suche nach Liebe sind. Dem späten Erstling folgten bis 2000 die Erzählsammlungen «Das einzige Objekt in Farbe», «Das Haus am See», «Nachtbuch», «Letzte Warnung», «Liebe Stimme» und, nach dem Verlust ihrer Verlagsheimat bei Egon Ammann als spätes Comeback 2014/2015 «Kleine Beweise der Freundschaft» und «Die Agonie des Schmetterlings». 2017 brachte Charles Linsmayer das mit einer Biographie versehene Helen-Meier-Lesebuch «Übung im Torkeln entlang des Falls» heraus, 2019 die bereits 1925 entstandenen Märchen «Der weisse Vogel, der Hut und die Prinzessin». Helen Meier, die am 13.Februar 2021 in Trogen AR starb und die auch die sehr persönlichen Romane «Lebenleben», «Die Novizin» und «Schlafwandel» vorgelegt hat, gehörte mit ihren unkonventionellen Themen und ihrer unverwechselbar eigenen Sprache zu den grossen, anerkannten Autorinnen und Autoren des deutschen Sprachraums und wurde mit Auszeichnungen wie dem Droste-Preis sowie mit dem St.Galler und dem Appenzell-Ausserrhodischen Kulturpreis geehrt. «Helen Meiers Figuren leben weiter», gab der Tages-Anzeiger bei ihrem Tod zu bedenken, «intensiv, in leuchtenden Farben; sie sind immer in Bewegung. Der Zorn u¨ber Nichtgelebtes treibt sie an; alle sehnen sich nach Liebe, manche auch nach Freiheit.»
(Seit dem Dezember 2021 ist das 2015 erstmals erschienene Helen Meier-Lesebuch «Übung im Torkeln entlang des Falls» (Reprinted by Huber Nr.34) beim Verlag Th.Gut, Zürich, in einer Neuausgabe erhältlich, deren biographisches Nachwort bis zum Tod der Autorin ergänzt ist.)
Beitrag im Tagblatt St. Gallen vom 19.02.2022