Vom herrschenden Trend unbeirrt: Hans Mayer (19. März 1907 - 19. Mai 2001)

1914 schwärmte der Erstklässler in Köln wie die ganze Nation von U-Boot-Helden und Kampffliegern, und um sich auf eine Karriere nach dem Gusto des reichen Vaters vorzubereiten, studierte der Literaturfreak ab 1925 nicht Germanistik - das war etwas für Mädchen! -, sondern Jurisprudenz. So war er preussischer Gerichtsreferendar, als er 1933, bei Hitlers Machtübernahme, erkennen musste, dass für ihn als Juden all die schönen Freiheiten und Möglichkeiten immer bloss «auf Widerruf» gegolten hatten. Er floh nach Genf und bekam da Carl J. Burckhardt zum Lehrer, der ihm beibrachte, «Literatur im weitesten Verstande wörtlich und also ernst zu nehmen». Er schrieb ein Buch über Büchner, lebte 1938/39 in Paris von «Bund»-Honoraren und war zufällig wieder in Genf, als der Krieg begann. Zunächst in den Lagern Davesco und Vouvry, später in den Zuchthäusern Witzwil und Lenzburg, lernte er das Schweizer Internierungssystem in den demütigendsten Formen kennen. 1944 war er Mitgründer der Interniertenzeitung «Über die Grenzen», arbeitete pseudonym bei der «Tat» und offen bei der KP-Zeitschrift «Freies Deutschland» mit, und als er 1945 heimkehrte, zählte der junge Sozialist, zunächst als Chefredaktor bei Radio Frankfurt und ab 1948 als Literaturprofessor in Leipzig, sofort zu den beachtetsten Wortführern der geistig-moralischen Erneuerung Deutschlands. Bis 1963, als der DDR-Nationalpreisträger von einer Reise nicht zurückkehrte und zunächst in Tübingen und später in Hannover weiterlehrte, war der Hörsaal 40 der Leipziger Universität einer der wenigen Orte der DDR, wo offen Kritik geübt und Schmerzliches beim Namen genannt wurde. Den Büchern über Wagner, Brecht, Kleist und Goethe sowie dem Band «Aussenseiter», mit dem Mayer 1975 die Geistesgeschichte quasi auf den Kopf stellte, stehen die bewegenden Erinnerungen «Ein Deutscher auf Widerruf» von 1982/84 gegenüber. Und jene drei Bücher, in denen er zur jüngeren deutschen Geschichte Stellung bezog: das DDR-Buch «Der Turm zu Babel» (1991), «Wendezeiten» (1993) und «Der Widerruf. Über Deutsche und Juden» von 1994, dem 1997 ein Band über Israel, «Reisen nach Jerusalem», folgt. Hans Mayer: ein Gelehrter, der weit über die Universität hinaus Echo fand, ein Querdenker, welcher, vom herrschenden Trend unbeirrt, der einmal erkannten Wahrheit treu blieb. Er starb zwei Monate nach seinem 94. Geburtstag am 19.Mai 2001 in Tübingen, nachdem er sich mit dem Satz: «Es ist genug» selbst verordnet hatte, aufzuhören zu leben, indem er keine Nahrung und keine Flüssigkeit mehr zu sich nahm.