Erika Mann 1930

 

 

 

 

 

 

 

 

Es muss etwas Sinnlich-Betörendes, Androgynes und doch Mütter-lich-Weibliches von ihr ausgestrahlt haben, sonst hätten sich nicht Gustav Gründgens, der ihr erster Ehemann werden sollte, und Anne-marie Schwarzenbach, die seit der ersten Begegnung mit ihr im Jahre 1930 unentwegt und bis zuletzt vergeblich um ihre Zuneigung rang, in sie verlieben können. Erika Mann selbst kultivierte auch eine Liebe, von der sie nicht mehr loskam: jene zu ihrem Bruder Klaus, von dem sie noch 1949, nach seinem Selbstmord, sagen sollte: «Ich bin doch gar nicht zu denken ohne ihn.» 
Die älteste Tochter Thomas Manns auf ihre Gefühle und Sentimentalitäten zu reduzieren, hiesse allerdings, eine der klügsten, politisch engagiertesten und emanzipiertesten Frauen des 20. Jahrhunderts gründlich zu verkennen. Am 9.November 1905 in München geboren, verkörperte mit Klaus Mann zusammen in den zwanziger Jahren als Schauspielerin und bald auch als Autorin auf provokant-brillante Weise die intellektuelle Avantgarde einer neuen, unverkrampften Generation. Und stellte sich, als die Nazis dem allem ein Ende bereiteten, ebenso leidenschaftlich in den Dienst eines Antifa-schismus, den sie nicht nur mit Büchern wie der in Amerika entstandenen «School for Barbarians» oder «The other Germany», sondern auch als scharfzüngige Kabarettistin mit ihrem legendäre Ensemble «Die Pfeffermühle» mehr als nur originell umzusetzen wusste. Nicht zuletzt war sie auch als Beraterin von Thomas Mann, den sie den Hitlergegnern als wortgewaltigen Mitstreiter zuführte und dem sie in den USA und  bis zu seinem Tod 1955 in Kilchberg ZH als treue Beraterin und Sekretärin diente, von Bedeutung. So sehr identi-fizierte sie sich als Hüterin und Herausgeberin mit seinem Werk, dass bei ihrem Tod am 27.August 1969 längst in Vergessenheit geraten war, mit welcher Verve und Kompromisslosigkeit sie selbst als Kommentatorin der Londoner BBC in den Jahren 1940 bis 1942 und als (einzige weibliche) Berichterstatterin von den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen 1945/46 den Nationalsozialismus und seine Mitläufer bekämpft hatte.