Dichter des Debakels: Heinrich Mann (1871-1950)

«Im gegenwärtigen Augenblick kann ein grosses öffentliches Organ nicht in satirischer Form an deutschen Verhältnissen Kritik üben», teilte am 13.8. 1914 die Illustrierte «Zeit im Bild» Heinrich Mann mit und beendete nach 8 Monaten den Abdruck des Romans «Der Untertan». So dass der Krieg, der darin hellsichtig prophezeit war, jenes Buch am Erscheinen hinderte, das das Wilhelminische Zeitalter am radikalsten kritisiert und gnadenlos zeigt, wie die Identifikation mit dem Kaiser den Untertan zum «Affen des Herrschers» macht , der in blindem Autoritätsglauben auch zur widerwärtigsten Politik ja sagt. Der Roman, der die Berlin-Satire «Im Schlaraffenland und die als «Blauer Engel» verfilmte Paucker-Persiflage «Professor Unrat» fortsetzte, konnte so bis auf einen Privatdruck von 10 Exemplaren erst 1918 erscheinen, wurde dann aber zum Erfolgsbuch dieses Dichters, der Deutschland zeitlebens von den Idealen der Französischen Revolution her beurteilte. Weshalb er sich 1915 in einem Zola-Aufsatz sogar mit dem jüngeren Bruder Thomas zerstritt, den er den «Ruhmrednern und Tiefschwätzern» zurechnete. So dass letzterer ihn in den «Betrachtungen eines Unpolitischen» 1918 einen «Zivilisationsliteraten» schimpfte, der «auf feindlicher Seite» stehe. Exponent romanischer Geistigkeit par excellence, näherte sich Heinrich Mann ab 1920 dem Kommunismus und stellte nach der Machtergreifung der Nazis (die den «Dichter des Debakels» tödlich hassten) im französischen Exil auch sein Alterswerk «Die Jugend und Vollendung des Königs Henri Quatre» in dessen Dienst: «Der Befreier Henri Quatre wäre seither Bolschewik genannt worden.» Seit 1934 tschechischer Staatsbürger, starb Heinrich Mann am 12.März 1950 79jährig im kalifornischen Santa Monica. Vier Wochen vor der Abreise nach Ostberlin, wo der Vereinsamte in einer Villa der kommunistischen Machthaber einen «Lebensabend voller Ehren» glaubte antreten zu können...