Carl Albert Loosli

»Ich fühle mich in meiner erbärmlichen Heimat nun endgültig entwurzelt und krank und wünschte, ich wäre in Genf dabeigewesen und hätte eine Kugel abgekriegt, die mir die Mühe erspart hätte, mich für mein Land und mein Volk ins blutige Herz hinein zu Tode zu schämen.« - So schrieb Carl Albert Loosli am 17. November 1932, kurz nachdem in Genf auf demonstrierende Arbeiter geschossen worden war, in einem Brief. Und man muss Sätze wie diese im Ohr haben, wenn von Loosli als Dialektdichter die Rede ist, denn dieser Mann war alles andere als ein schönfärberischer Heimatkünstler! Der Freund und Verteidiger von Hodler, Spitteler und Jonas Fränkel, der unerschrockene Kämpfer gegen Antisemitismus, Anstaltserziehung, Korruption und Meinungsterror war ohne Zweifel einer der unbestechlichsten, ehrlichsten und mutigsten Schweizer des 20.Jahrhunderts, ein kompromisslos, aber niemals stur ideologisch engagierter Schriftsteller von ausserordentlicher geistiger Brillanz und stupender Begabung auf allen möglichen Gebieten - von der beissenden Satire über den sozialen Krimi bis hin zum Mundartgedicht in klassischen Sestinen! Erst wenn eines Tages die Schätze seines weitgehend noch unveröffentlichten Nachlasses und vor allem seine unzähligen Briefe publiziert sind, wird man erkennen, wie unverzeihlich es war, dass man diesen grossen Dichter und Kulturkritiker zeitlebens verkannt, diffamiert oder als » Original« verharmlost hat.
Bald achtzig Jahre sind es nun her, seit im Frühling bzw. Herbst 1910 Looslis Dialektbücher Mys Dörfli und Üse Drätti erschienen. Und wer sich die Mühe nimmt, das phonetisch genau geschriebene Unteremmentalisch Wort für Wort zum Klingen zu bringen, wird auch als Nichtberner noch immer reich belohnt. Unversehens entfaltet die seltsame vokalreiche Sprache ihren Zauber, und man fühlt sich zurückversetzt in ein Berner Dorf des späten 19.Jahrhunderts. Aber nur gerade sprachlich gerät man da in eine heile Welt, denn anders als beim Aristokraten Rudolf von Tavel oder beim heimatverbundenen Simon Gfeller stehen hier Entwurzelte, »gesellschaftlich Enterbte« im Mittelpunkt: Knechte, Mägde, Tagelöhner und Verdingbuben, wie Loosli selber einer gewesen war. Und genau so ein Bauernknecht und Bierfuhrmann ist auch dieser Drätti, den Loosli mit köstlidiem Humor sein Leben so erzählen lässt, »win im der Schnabu gwachsen isch«. Etwas stärkere anklägerische Töne schlägt bei aller Heiterkeit Mys Dörfli an, das mit Ds Annemarei und Der Hubusepp u sy Fritz zwei erzählerische Glanzstücke enthält.
Loosli hat mit Wi‘s öppe geit 1921 von der Dialekterzählung Abschied genommen und die Mundart hinfort - wie schon in Mys Ämmitaw von 1911 - nur noch für Gedichte verwendet. Als man um 1937 aus dem Dialekt eine Schweizer Schriftsprache machen wollte, war es C. A. Loosli, der diese Idee schon früh mit aller polemischen Schärfe als Sackgasse bekämpfte.


Üse Drätti und Mys Dörfli sind seit 1987 in Neuausgaben bei Emmentaler Druck, Langnau, greifbar.
(Literaturszene Schweiz)

Loosli, Carl Albert

*Schüpfen (BE) 5.4.1877, †Bern 22.5.1959, Kunsthistoriker, Schriftsteller. Nach einer unglückl. Kindheit in Waisenhäusern und Anstalten eignete sich der unehel. Sohn einer Heimarbeiterin in Paris auf autodidakt. Weise eine breitgefächerte Bildung an und machte um die Jahrhundertwende als Redaktor einer eigenen Zeitung, der »Weltchronik«, in Bern auf sich aufmerksam. Obwohl er in allen drei Bereichen das gleiche leidenschaftl. Engagement gegen soziales Unrecht, gegen Cliquenwesen und polit. Sturheit entwickelte, lässt sich seine jahrzehntelange öffentl. Wirksamkeit in eine publizist.-journalist., eine kunsthistor.-wiss. und eine eigtl. literar. Tätigkeit gliedern. Als Journalist war L. vorwiegend Gesellschaftskritiker und Pamphletist, hegte jedoch, wie »Bümpliz und die Welt« (1906) und »Narrenspiegel« (1908) zeigen, von Anfang an ein waches Interesse für alle denkbaren, scheinbar abgelegenen Themen. Originell war L. auch in seinen eigtl. Streitschriften, die F. Schwarz ungeachtet ihres finanziellen Erfolgs in seinem »Pestalozzi-Fellenberg-Haus« verlegte. So attackierte L. mit »Ist die Schweiz regenerationsbedürftig?« (1912) und »Schweiz. Zukunftspflichten« (1915) bissig den helvet. Filz und die eidg. Selbstgenügsamkeit, so ging er mit »Anstaltsleben« (1924), »Ich schweige nicht!« (1925) und »Erziehen, nicht erwürgen!« (1928) vehement gegen die »Jugendbewahranstalten« ins Gericht und stellte 1939 mit »Administrativjustiz und schweiz. Konzentrationslager« gewollt provokativ eine Beziehung zw. nat.-soz. Terror und der schweiz. Praxis der »Zwangsversorgung asozialer Elemente« her. 1913 schon hatte der Mitbegründer und zeitweilige Sekretär des Schweiz. Schriftsteller-Vereins mit fatalen Folgen für sein eigenes Werk die gesamte Schweizer Literaturkritik und Germanistik mit dem Gotthelf-Scherzartikel »Bitzius oder Geissbühler« der Lächerlichkeit preisgegeben. Erstaunl. weitsichtig erscheint, vom Zeitalter der elektron. Medien her gesehen, sein Angriff gegen den aufkommenden Rundfunk, den er 1928 mit »Die Radioseuche« führte. Wie kaum ein anderer Schweizer Schriftsteller bewährte sich L. nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit dem Nat.-Soz. Er bekämpfte schon die ersten Vorzeichen des Antisemitismus, trat 1935 im Berner Prozess um die gefälschte antisemit. Hetzschrift »Protokolle der Weisen von Zion« brillant als Sachverständiger auf und hielt seinem Freund, dem u.a. seines Judentums wegen kaltgestellten G.-Keller-Hg. J. Fränkel, unverbrüchl. die Treue.
Als Kunsthistoriker war L. v.a. wegen seiner Arbeiten über den mit ihm befreundeten Hodler bedeutsam. In seinem epochalen Werk »Ferdinand Hodler« (4 Bde., 1921-24) nahm er schon früh einen Standpunkt ein, der über die nat. Vereinnahmung und Heroisierung des Künstlers weit hinauswies. Im Bereich der belletrist. Literatur kommt L. das Verdienst zu, mit den beiden Erzählbde. »Mys Dörfli« und »Üse Drätti« (beide 1910, fortgesetzt 1921 mit »Wi's öppe geit«) den unteremmental. Dialekt, wie ihn 1911 auch S. Gfeller benützen sollte, neben dem Stadtbernischen Rudolf von Tavels zur zweiten Berner Dichtersprache gemacht zu haben. Allerdings heben sich seine Gestalten – meistens Outsider und sozial Benachteiligte – ebenso von den stilisierten Figuren der übrigen Berner Dialektdichtung ab, wie seine frische, humorvolle Tonlage sich von der Behäbigkeit und Manieriertheit der bis um 1950 modischen, das Vorbild absurd verfälschenden Berner Gotthelf-Nachfolge unterscheidet. Bereits 1911 bewies L. mit dem Gedichtband »Mys Ämmitaw« nicht minder überzeugend auch seine Fähigkeiten als stilsicherer, origineller Dialektlyriker. In den 30er Jahren, als der Dialektgebrauch das Hochdeutsch zu verdrängen und die Schweiz geistig zu isolieren drohte, wandte sich L. als Autor ganz von ihm ab und erteilte seiner Absolutsetzung mit »Schweizerdt. Glossen zur schweiz. Sprachbewegung« (1938) eine deutl. Absage. Sein Können als hochdt. Erzähler hatte L. u.a. bereits mit »Sansons Gehilfe« (1927) belegt, seine bedeutendste Leistung ist neben »Ewige Gestalten« (Nov., 1946) jedoch der Kriminalroman »Die Schattmattbauern« (1932, neu hg. von C. Linsmayer 1981), eines der frühesten ernst zu nehmenden Beispiele dieses Genres in der dt. Schweiz und ein geglückter Versuch, die Klischees der Bauernerzählung aus vehement sozialkrit. Optik zu entlarven. Ein weiterer krit. Bauernroman, »Es starb ein Dorf«, konnte erst 1975 aus dem Nachlass publiziert werden. … Lit.: Sommer, H.: C.A.L., in: Volk und Dichtung des Emmentals, Bern 1969; Wartenweiler, F.: C.A.L., in: C.A.L. – Nonkonformist und Weltbürger, hg. von R. Stalder, Münsingen 1972; Huonker, G.: C.A.L., in: C.A.L.: »Die Schattmattbauern«, Zürich 1981; Marti, E.: C.A.L. Zwischen Jugendgefängnis und Pariser Bohème 1877-1907, ebd. 1997 (1. Bd. der auf 3 Bde. angelegten Biographie).
(Schweizer Lexikon)



Loosli, Carl Albert,

* 5. 4. 1877 Schüpfen/Kt. Bern, † 14. 10. 1959 Bern. - Erzähler, Lyriker, Pamphletist, Publizist.

Der unehel. Sohn einer Heimarbeiterin erlebte von frühester, in Waisenhäusern u. Verdingplätzen verbrachter Kindheit an, was es im letzten Drittel des 19. Jh. im »behäbigen Bernbiet« hieß, arm u. sozial unterprivilegiert zu sein.
Er vermochte sich zwar dem Anstaltsterror durch die Flucht nach Paris zu entziehen, eignete sich autodidaktisch eine erstaunliche Bildung an, wurde Journalist u. Reporter, bald sogar Redakteur der eigenen Zeitung »Weltchronik«, aber er konnte das erlebte Unrecht nie vergessen u. entwickelte sich, nachdem er sich 1904 in Bümpliz bei Bern als freier Schriftsteller u. Publizist niedergelassen hatte, zu einem ebenso furchtlosen wie gefürchteten, brillant argumentierenden Kämpfer u. Polemiker gegen alles Unrecht im sozialen, pädagog. u. polit. Bereich. So attackierte er mit seinem Buch Anstaltsleben (1924), mit seiner Replik Ich schweige nicht! (1925) u. mit dem Band Erziehen, nicht erwürgen! (1928; alle Bern) erfolgreich die unhaltbaren Zustände in schweizerischen Jugendbewahranstalten; so polemisierte er mit der Broschüre &Mac221;Administrativjustiz&Mac220; und schweizerische Konzentrationslager (ebd. 1939) in schärfster Form gegen die Entmündigung u. Verwahrung von Outsidern; so bekämpfte er mit Titeln wie Die schlimmen Juden! (ebd. 1927) oder Die Juden und wir (Zürich 1930) mit Mut u. Phantasie den aufkommenden Antisemitismus, dem er 1935 im Berner Prozeß um die sog. »Protokolle der Weisen von Zion« als überparteil. Sachverständiger virtuos, aber ohne prakt. Folgen für die unterliegende dt. Prozeßpartei, die Spitze brach. Auch gegenüber polit. Tendenzen, die seiner freiheitlich-liberalen Auffassung vom Wesen der schweizerischen Demokratie widersprachen, erhob L. in z. T. hitzig diskutierten Streitschriften wie Ist die Schweiz regenerationsbedürftig? (Bern 1912), Schweizerische Zukunftspflichten (ebd. 1915) u. in unzähligen Artikeln in der »Berner Tagwacht«, im »Volksrecht« (Zürich) u. in der 1933-1952 erschienenen antifaschistischen Zeitung »Die Nation« (Bern) seine Stimme.
Nicht weniger engagiert gab sich L., der sich schon früh für Ferdinand Hodler einsetzte u. nach dessen Tod mit Ferdinand Hodler. Leben, Werk und Nachlaß (4 Bde., Bern 1921-24) das für Jahrzehnte wegweisende Werk über ihn schrieb, als Kunstkritiker, Sekretär der Gesellschaft schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten u. Redakteur von deren Zeitschrift »Schweizer Kunst«. Obwohl er dadurch die für seine Rezeption als Schriftsteller maßgebl. Kreise verstimmte, nahm L. auch in literar. Fragen kein Blatt vor den Mund. Am meisten schadete ihm dabei sein Scherzartikel Bitzius oder Geissbühler (in: Heimat und Fremde, 22. 2. 1913), mit dem er Literaturkritik u. Gotthelf-Philologie lächerlich machte. Vor diesem Hintergrund ist es zu sehen, wenn L.s äußerst vielfältigem u. alle Sparten umfassendem Werk die gebührende Beachtung weitgehend versagt blieb. Obwohl L. den unteremmentalischen Dialekt mit den Bauernerzählungen Mys Dörfli u. Üse Drätti (beide Bern 1910. Zuletzt Langnau 1987) literaturfähig gemacht hatte, zog man seinem bisweilen derben Realismus den heimatverbundenen, bodenständigen Simon Gfeller vor. Er wolle, schrieb L. im Vorwort zu Mys Dörfli, »ech wider einisch läbig Purelüt uf em Papier zeige, das het mi eigetlig guslet vo mym Dörfli z prichte. Nid eso Büecherpure, wi me re mängisch aatrifft.« Als L. allerdings sah, wie die Dialektdichtung zu Folklore verkam, nahm er 1921 mit Wi's öppe geit (Bern. Neuausg. Langnau 1988) davon Abschied u. verwendete die Mundart - wie schon in Mys Ämmitaw (Bern 1911. Frauenfeld 1979) - hinfort nur noch für Gedichte. 1937, als engstirnige Nationalisten aus der Mundart eine Schriftsprache machen wollten, polemisierte L. mit Schweizerdeutsch. Glossen zur schweizerischen Sprachbewegung in aller Schärfe dagegen.
Obwohl der hochdt. Prosaist L. sich vorwiegend der Glosse oder der scharf pointierten Kurzgeschichte bediente - Sammelbände wie Bümpliz und die Welt (Bern 1906. 1972) oder Narrenspiegel (ebd. 1908) zeugten schon früh davon-, reüssierte er doch auch in der größeren epischen Form. Die Schattmattbauern (ebd. 1932. Zuletzt Zürich 1981), mit dem Entstehungsjahr 1925 der früheste sozialkrit. Kriminalroman der Schweiz, wurde zu seinem erfolgreichsten Buch überhaupt, u. der aus dem Nachlaß erstmals publizierte Roman Es starb ein Dorf (Frauenfeld 1975) bestätigte erneut seinen Rang als Meister der unchauvinist., realistischen Bauerndarstellung.
Der komplexen, weitgehend verdrängten, aber in vielerlei Hinsicht überragenden Erscheinung des eigenwilligen Nonkonformisten L. wird man erst gerecht werden können, wenn der in der Schweizerischen Landesbibliothek Bern befindliche, aus unzähligen Briefwechseln (z.B. mit Jonas Fränkel, Carl Spitteler, Jakob Bührer), unveröffentlichten Manuskripten u. Entwürfen bestehende Nachlaß aufgearbeitet ist.

WEITERE WERKE: Die trunkenen Demiurgen. Bern 1922 (Satire). - Sansons Gehilfe u.a. Schubladennovellen. Ebd. 1927. - Die Radioseuche. Ebd. 1927. - Der Gang-hü-Schlosser. Zürich 1942 (E.). - Ewige Gestalten. Ebd. 1946 (N.n.). - C. A. L. - Nonkonformist u. Weltbürger. Werkauswahl. Hg. Rudolf Stalder. Münsingen 1972. 1980. - «Ihr braven Leute nennt euch Demokraten». Schreiben zur Politik, Gesch., Kunst u. Kultur. Hg. Erwin Marti. Frauenfeld 1980.

LITERATUR: Fritz Wartenweiler: C. A. L. In: C. A. L. - Nonkonformist u. Weltbürger. Bern 1972. 1980, S. 206-223. - Hans Sommer: C. A. L. In: Volk u. Dichtung des Emmentals. Bern 1969, S. 209-215. - Gustav Huonker: C. A. L. Nachw. zu: «Die Schattmattbauern». Neu hg. v. Charles Linsmayer. In: Frühling der Gegenwart. Bd. 3, Zürich 1981, S. 357-373.
(Bertelsmann Literaturlexikon)

Carl Albert Loosli

(Loosli als Gotthelf-Herausgeber)


Ein Glücksfall in Sachen Literaturedition zeichnete sich ab, als Hermann Hesse 1912 in der Zeitschrift «März» «Geld und Geist», den ersten Band von Jeremias Gotthelfs «Sämtlichen Werken in 24 Bänden, in Verbindung mit der Familie Bitzius im Eugen Rentsch-Verlag München & Bern herausgegeben von Rudolf Hunziker, Hans Bloesch und C.A. Loosli», anzeigen konnte: «Hunziker ist seit Jahren als Gotthelfkenner, als Übersetzer und gewissenhafter Philolog bekannt, Bloesch ist einer der feinsten Köpfe im jungen literarischen Bern, und Loosli hat seine Vertrautheit mit dem Berner Bauernleben und namentlich mit dem Berner Dialekt in famosen Büchern erwiesen. Wenn diese drei zusammenarbeiten, muss etwas Rechtes entstehen, hier besorgt nicht ein Oberlehrer gegen Tageslohn einem Verleger bestellte Editorenarbeit, sondern es gehen drei Kenner und Bewährte in aller Ernsthaftigkeit daran, ihrem grossen Landsmann zu seinem Recht zu verhelfen.»
Aber der äussere Eindruck täuschte. Hinter den Kulissen hatte längst ein erbitterter Kleinkrieg zwischen Philologie und Gotthelf-Enthusiasmus, Verlagspolitik und Familieninteresse stattgefunden, in welchem der Hauptinitiant und langjährige zähe Verfechter der Editionsidee, Carl Albert Loosli, auf der Strecke geblieben war.
Empört über die 1907 vom Nationalisten und Antisemiten Adolf Bartels bei Hesse in Weimar herausgegebene tendenziöse 12bändige Gotthelf-Ausgabe, hatte Loosli 1909 in Bern eine aus Politikern, Schriftstellern und dem Gotthelf-Enkel Fritz Rüetschi zusammengesetzte «Gotthelf-Kommission» gegründet, die zunächst den Berner Verleger Alexander Francke bewegen wollte, die bei Band 11 steckengebliebene Gotthelf-Ausgabe von Professor Ferdinand Vetter weiterzuführen. Als Francke das Ansinnen als unrentabel zurückwies, gewann Loosli den in München etablierten Verleger Eugen Rentsch für die Sache. Als Loosli dann aber einen Herausgeber suchte, landete er doch wieder bei Vetter, wagte es doch nicht einmal Otto von Greyerz, dem ehemaligen Lehrer die Aufgabe streitig zu machen. Erst als er mit Vetter einen provisorischen Vertrag abgeschlossen hatte, erfuhr Loosli, dass dieser sich unwiderruflich mit jenen Gotthelf-Erben zerstritten hatte, die in Sachen Nachlass und Edition das Sagen hatten: mit der Gotthelf-Tochter Cäcilie von Rütte, deren Sohn, Pfarrer von Rütte, und dessen Schwager Dr. Emil Hegg, Augenarzt in Bern. Als sie von der Mitwirkung Vetters bei der geplanten Neuausgabe erfuhren, distanzierten sich die Gotthelf-Erben (der Loosli wohlgesinnte Pfarrer Rüetschi war inzwischen gestorben) öffentlich davon, schlossen sie von der Nutzung ihres Archivs aus und traten mit Rudolf Hunziker in Winterthur in Kontakt, um diesen mit der Werkausgabe zu betrauen. Zwischen Stuhl und Bank geraten, entliess Loosli Vetter aus dem Vertrag, tat sich statt dessen mit dem Berner Bibliothekar Hans Bloesch zusammen und reiste nach Rücksprache mit Cäcilie von Rütte zu Hunziker nach Winterthur, um die Sache doch noch einzurenken. So kam es im Februar 1911 zu einem Vertrag zwischen Eugen Rentsch und dem Herausgebertrio Hunziker, Bloesch, Loosli über die Edition einer 24bändigen Gotthelf-Ausgabe, die bei Benteli an Looslis Wohnort Bümpliz gedruckt werden sollte. Der erste Band, «Geld und Geist», bearbeitet von Hans Bloesch und gestaltet von Emil Preetorius, wurde im Januar 1912 ausgeliefert – kurz bevor es Rudolf Hunziker im Verein mit den Gotthelf-Erben gelang, den Dilettanten Loosli endgültig von der Sache auszuschliessen. Indem man ihm vorwarf, bei der Abfassung der Subventionsgesuche an Bund und Kanton nicht uneigennützig gehandelt, d.h. auch an die Honorierung der Herausgeberarbeit gedacht zu haben, drängten ihn sowohl Hunziker als auch die Familie Bitzius im Sommer 1912 unter Androhung einer zweiten, der Familie genehmen Werkausgabe dazu, als Herausgeber zurückzutreten und die «Gotthelf-Kommission» aufzulösen. «Unsere Forderungen sind somit», schrieb Hegg Loosli am 8.Juni 1912 im Namen der Familie Bitzius, «Ihr Rücktritt als Herausgeber, die Zurückziehung der Subventionsgesuche und die Auflösung des Inivitativ-Comité. Von der unverzüglichen Erfüllung dieser Forderungen machen wir unsere weitere Mitwirkung an dem Unternehmen abhängig.» So trat denn Loosli, der die Gotthelf-Ausgabe über seine persönlichen Interessen stellte, als Herausgeber zurück und überliess das Feld Hunziker, Bloesch und all den Philologen und Akademikern, die Gotthelf, statt ihm, wie Hermann Hesse gehofft hatte, «zu seinem Recht zu verhelfen», in 66jähriger Arbeit und in insgesamt 42 Bänden das Grab eines Klassikers schaufelten.

Beitrag im Bieler Tagblatt vom 15.07.2022