Urs Liechti

Im Sommer 1935 reist ein Berner Kaufmann ins Deutsche Reich. Er will sein nicht transferierbares Mark-Guthaben fröhlich im Lande selbst verjubeln und zugleich, Hobby-Mythologe, der er ist, die Mär überprüfen, wonach die Nazis der germanischen Mythologie zu neuer Blüte verholfen hätten. Was den naiven Schweizer im »neuen Deutschland« erwartet, spottet dann allerdings jeder Beschreibung! Er wird Zeuge, wie Karl der Grosse vom Volksgerichtshof symbolisch als Verräter abgeurteilt wird, erlebt in geliehener SA-Uniform hautnah eine NS-Frühlingsfeier mit, nimmt im Beisein von Goebbels und Rosenberg an der Walpurgisnachtfeier auf dem Hesselberg teil, gerät in die liebesdurstigen Arme einer mythologisch geschulten NS-Walküre und lernt schliesslich im Hause des Rassenzuchtwarts Ginkerl auch noch die Auswirkungen des Germanenkults auf das kleinbürgerliche Familienleben kennen. Hatte der Eidgenosse zunächst noch mit frontistischem »Harus!« in die Begeisterung der Nazis eingestimmt, so machen ihn seine Erfahrungen je länger, desto stutziger. Ohnehin entkommt er den Fäusten der SA-Leute jeweils nur, wenn er sich mittels einer vom Zwerg Alberich erhaltenen Tarnkappe unsichtbar macht. Längst ist sein Chrysler als »Volksgut« konfisziert worden, und am Ende muss er nur schon froh sein, rechtzeitig noch heil und gesund über die Schweizer Grenze zu entkommen.
Beschrieben ist all dies und weiteres mehr im satirischen Roman Wodans Wiederkunft von Urs Liechti. Der lustige Reisebericht aus einer traurigen Zeit erschien 1936 im Zürcher Jean-Christophe-Verlag und vermittelte trotz humoristischer Verfremdung ein ziemlich ungeschminktes Bild vom damaligen Deutschland. Liechti gab nicht nur den Germanenkult in seiner ganzen verlogenen Demagogie der Lächerlichkeit preis, er stellte auch den Rassenwahn, die Parteijustiz und den Polizeiterror in ihrer unmenschlichen Brutalität satirisch an den Pranger.
Dieser Urs Liechti, der so unzweideutig gegen die Nazis Stellung bezog, war nun allerdings - soll man sagen: leider? - kein Schweizer. Immerhin war das Pseudonym aber so gut gewählt, dass Ernst Alker noch um 1960 einen Schweizer Autor dieses Namens - mit »nicht eruierbaren Lebensdaten « freilich - in seine Literaturgeschichte aufnahm. Heute jedoch steht zweifelsfrei fest, dass es sich bei Urs Liechti um den deutschen Emigranten Wilhelm Hoegner handelte. Der bayrische Sozialdemokrat lebte von 1934 bis 1945 in Zürich, kehrte dann in seine Heimat zurück und war mehrfach bayrischer Ministerpräsident. In der Schweiz war ihm damals als Politiker, Jurist und Journalist jede Tätigkeit untersagt. Einzig als »belletristischen Schriftsteller« liess die Fremdenpolizei den ehemaligen Münchner Staatsanwalt und Reichstagsabgeordneten arbeiten. Und so blieb dem erklärten Nazi-Gegner, wollte er etwas gegen Hitler tun, tatsächlich nur die Möglichkeit, mit dem Entsetzen Scherz zu treiben und unter dem unverdächtig schweizerisch klingenden Namen Urs Liechti eine Satire zu schreiben. . .
(Literaturszene Schweiz)