Cécile Lauber *1887–1981

Die am 13. Juli 1887 in Luzern geborene Cécile Lauber ist nicht, wie so viele im 20. Jahrhundert, durch existenzielle Not zum Schreiben gedrängt worden. Aus begüterten Kreisen stammend – ihr Vater, Hermann Dietler, war Regierungs-, Nationalrat und Gotthardbahn-Direktor –, hatte sie ihren Kunstsinn bei berühmten Lehrern in Musik und Malerei in Luzern und Lausanne geschult, ehe sie sich nach standesgemässer Heirat mit dem Juristen und späteren Bundesrichter Werner Lauber mit Umsicht und Sorgfalt dem Schrei -ben zuwandte, diese Tätigkeit aber stets mit ihren Familienpflichten als Mutter zweier Kinder in Einklang zu bringen wusste. So erstaunt es nicht, dass ihr Schaffen, mit Ausnahme einiger früher Novellen, abseits der literarischen Avantgarde stand und einer klassisch-romantischen Ästhetik verpflichtet blieb. Was sie schrieb, hat auch im dunkelsten Bereich noch immer etwas mit Schönheit zu tun, ihre Sprache wirkt kultiviert und gehoben, und was zu Lebzeiten die grösste Wirkung erzielte, war ihre zwischen 1946 und 1952 erschienene monumentale, der geistigen Landesverteidigung verpflichtete Jugendroman-Serie «Land deiner Mutter», die den Kindern die Schweiz näherbringen wollte wie Selma Lagerlöfs «Nils Holgersson» Schweden. Überraschend ist dann allerdings die rigorose ethisch-moralische Zielsetzung, die sie von Anfang an mit ihrem Schreiben verknüpfte und die im Motto des 1929 publizierten Romans «Die Wandlung» am klarsten fassbar wird: «Solange der Schrei des Viehes, das zur Schlachtbank getrieben wird, ungehört verhallt, so lange werden unsere Kinder zu weinen fortfahren, wird unserer Not kein Ende sein und die Ewigkeit uns ausstossen.» Cécile Lauber hätte bloss akademische Tierschutzdichtung produziert, wäre zum klassischen Formwillen und zum sittlichen Eifer nicht jene Fähigkeit hinzugekommen, die sie selbst «befruchtendes Entzücken» nannte: die Gabe, eine einfache Geschichte unter Zuhilfenahme von Traum und Vision zum Mythos zu verdichten und diesen dann in Bildern von starker Leuchtkraft und in eindringlicher, rhapsodischer Sprache lebendig werden zu lassen, was ihr am beglückendsten im visionären Roman «Stumme Natur» gelang, der 1939 nach zehnjähriger Arbeit bei S. Fischer in Berlin herauskam und zu dem sie eine Beobachtung bei Porquerolles in der Nähe von Hyères bei Toulon inspiriert hatte. In diesem Roman lässt es die Natur geschehen, dass ein Bauer, seine Frau, ihr buckliges Kind, eine verunstaltete Magd und ein stummer Knecht sich auf einer einsamen Insel niederlassen. Die gleiche Natur aber entwickelt nie erlebte Kräfte, als Industrie und Tourismus das Eiland erobern. In einer Katastrophe von apokalyptischem Ausmass stellt sie selbst ihren Urzustand wieder her und verschont dabei – sinniges Bild tief gefühlter Menschlichkeit – einzig die hässliche Magd und den stummen Knecht. «Und das Leben – mit nicht zu brechender Gewalt und Herrlichkeit – beginnt von vorn, baut sich neu auf.» Am Ende ihres langen Lebens – sie starb mit 94 Jahren am 16. April 1981 – konnte die Luzerner Dichterin auf ein imposantes literarisches Œuvre verweisen, das sie schon 1970–72 in einer sechsbändigen Ausgabe letzter Hand der Nachwelt übergeben hatte. Der Zeit am besten standgehalten aber hat ihr erschütterndes Natur-Epos «Stumme Natur», mit dem sie sich in einem für die Rezeption ungünstigen Moment wenige Wochen vor dem Zweiten Weltkrieg auf überzeugende Weise an die Seite von Ferdinand Ramuz und Jean Giono gestellt hatte.



Lauber, Cécile
* 13. 7. 1887 Luzern, † 16. 4. 1981 Luzern. - Erzählerin, Lyrikerin, Dramatikerin, Essayistin.

Die Tochter eines Eisenbahndirektors wuchs in Luzern in begüterten Verhältnissen auf u. wurde an der Kunstgewerbeschule ihrer Geburtsstadt bzw. am Konservatorium von Lausanne zur Malerin u. Musikerin ausgebildet. 1908, während eines Englandaufenthalts, schrieb sie ihr erstes Theaterstück "Der Inquisitor" (un-veröffentl.), 1911 publizierte Josef Victor Widmann im Berner »Bund« ihre ersten Erzählungen "DieWeggisfrau" u. "Die Kindsmörderin". Zu eigentlicher schriftstellerischer Produktivität fand sie jedoch erst in den 20er Jahren, als sie nach einem längeren Aufenthalt in Lausanne mit ihrem Mann, dem JuristenWerner Lauber, u. ihren zwei Kindern wieder in Luzern lebte. 1922 erschien bei Grethlein ihr ersterRoman, Die Erzählung vom Leben und Tod des Robert Duggwyler (Lpz./Zürich): der romantisch gefärbte Bericht vom Aufstieg u. Niedergang eines Künstlers. Über die Zwischenstufen des humanitär engagierten Romans "Die Versündigung an den Kindern"(ebd. 1924) u. der beiden in Basel 1925 bzw. in Luzern 1928 uraufgeführten Theaterstücke "Die verlorene Magd" u. "In der Stunde, die Gott uns gibt" fand sie allmählich zu jener Thematik, die ihre breit angelegte Romantrilogie "Die Wandlung" (Lpz. 1929. Zürich 1950. Bern 1971). "Stumme Natur" (Bln. 1939. Zürich/Köln 1956. Bern 1971. Zürich 1982. Ffm.1990) u. "In der Gewalt der Dinge" (Frauenfeld 1961. Bern 1971) prägte: das unlösbare Verhaftetsein des Menschen in seiner Umwelt u. seine existentielle, schicksalhafte Verbundenheit mit aller Kreatur, der ersich mit Liebe u. Erbarmen zuwenden soll. Wie radikal L. diesen Gedanken zu Ende dachte, kommt z.B.bereits im Vorspruch von "Die Wandlung" zum Ausdruck, wo es heißt: »So lange der Schrei des Viehs,das zur Schlachtbank getrieben wird, ungehört verhallt, so lange werden unsere Kinder zu weinen fortfahren, wird unserer Not kein Ende sein und die Ewigkeit uns ausstoßen.« Höhepunkt der Trilogie ist "Stumme Natur", eine Art moderner Robinsonade mit der tragischen Konsequenz einer durch die Gewissenlosigkeit der zivilisatorischen Naturausbeutung heraufbeschworenen apokalypt. Katastrophe. Erstaunlicherweise verträgt sich die im Rückblick auf 1939 fast schon prophetisch anmutende »grüne« Thematikmit dem stark lyrisch gefärbten, im Duktus gelegentlich hymnisch-rhapsod. Stil des Buchs. "In der Gewalt der Dinge", der dritte Teil, ist - wie auch der erste - nur locker mit dem Mittelteil verbunden u. verlagert die Fragestellung von der Umweltproblematik auf diejenige der Ökonomie. An einem exemplarischenFall wird aufgezeigt, wie zerstörerisch Besitz u. Geld,d.h. »die Gewalt der Dinge«, auf die Seele des Menschen wirken können. Neben dieser Trilogie schrieb L. seit 1938 an einer noch umfangreicheren, im Zei-chen der sog. »geistigen Landesverteidigung« stehenden Romanserie, die in ihrer gelungenen Verbindung von Jugend-, Heimat- u. Abenteuerbuch nicht zu Unrecht als schweizerischer »Nils Holgersson« bezeichnet wurde: "Land deiner Mutter" (4 Bde., Zürich 1946-57. In einem Bd. Bern 1970).
WEITERE WERKE: Ausgaben: Ges. Gedichte. St. Gallen 1955. - Romane, Erzählungen, Lyrik, Aphorismen. Genf 1968. - Ges. Werke in 6Bdn. Bern 1970-72. - Einzeltitel: Der Gang in dieNatur. Lpz./Zürich 1930 (E.). - Chines. Nippes. Ebd. 1931 (E.en u. Gedichte). - Der dunkle Tag.Ebd. 1933 (N.n). - Nala, das Leben einer Katze.Zürich 1942.
LITERATUR: Jean Graven: C. L. Vorw. zu Ges. Werke. Bd. 1, Bern 1971. - Fritz Leu u.a.: C.L. 1887-1981. Luzern o. J. [1981]. - Rätus Luck:C. L. Nachw. zu «Stumme Natur». Neu hg. v. Charles Linsmayer. Zürich 1982. Ffm. 1990.(Bertelsmann Literaturlexikon)