Elisabeth Langgässer 1899–1950

Lässt sich der Kampf zwischen Gott und Satan zum Thema eines Romans machen? Wohl nur, wenn es einem gegeben ist, hinter den Schrecken eines Jahrhunderts wie des zwanzigsten Kräfte zu spüren, die menschliches Mass und irdische Dimensionen übersteigen. Der Roman «Das unauslöschliche Siegel», der das versucht, ist jedenfalls zwischen 1938 und 1945 von einer als «Halbjüdin» mit Publikationsverbot belegten Autorin heimlich im nationalsozialistischen Deutschland geschrieben worden. Und wer das romanhaft Ausufernde daran durchschaut und auf ihren Kerngedanken reduziert, kann in der Geschichte des Juden Belfontaine, der, mit dem unauslöschlichen Siegel der Taufe versehen, durch alle Fehlleistungen, Abgründe und Irrungen hindurch am Ende doch noch Vergebung erlangt und an der Hand seiner ersten Frau und Jugendgeliebten Elisabeth die Auferstehung im Geiste erlebt, den Triumph der Gnade über die Sünde, des Guten über das Böse, des Glaubens über die Verzweiflung symbolisiert sehen. Der Roman besässe nicht die Authentizität und die Kraft, die ihm eignet, wären nicht wesentliche Aspekte dem persönlichen Erleben der Autorin geschuldet. Am 23. Februar 1899 als Tochter eines jüdischen Vaters in Alzey geboren, war Elisabeth Langgässer auch selbst katholisch getauft worden und fand an diesem unauslöschlichen Siegel bei all ihren schrecklichen Erfahrungen in der Nazizeit nicht nur einen inneren Halt, sondern sah sich damit auch mit ihren Nächsten und ihren Kindern verbunden. Als am 10. März 1944 ihre fünfzehnjährige Tochter Cordelia, die ihres jüdischen Vaters wegen als «Volljüdin» galt, im jüdischen Krankenhaus Berlin-Wedding auf den Transport nach Theresienstadt wartete, verabschiedete sich Elisabeth Langgässer von ihr, indem sie ihr, als wolle sie das Siegel der Taufe weitergeben, mit dem Daumen ein Kreuz auf die Stirne zeichnete. Cordelia sei freiwillig für sie in den Tod gegangen, war die Dichterin noch 1945 überzeugt, während sie selbst trotz Krieg und Evakuation und in banger Sorge um ihre drei weiteren Töchter am Roman «Das unauslöschliche Siegel» weiterarbeitete, der sie bei seinem Erscheinen 1946 zu einer der grossen Autorinnen der Nachkriegszeit machte. «Ich habe die Sinne einer Hetäre und das Herz eines Mädchens», bekannte die Dichterin, die seit ihrem Lyrikdebüt «Der Wendekreis des Lammes» von 1924 allen Versuchungen der Sinnlichkeit zum Trotz nie aufgehört hatte, Schreiben als Gottesdienst zu sehen. Das gilt für «Das unauslöschliche Siegel» ebenso wie für den «Gang durch das Ried» (1936), wo ein geistig verwirrter Mann durch die Liebe zum Mitmenschen gesund wird, undauch für die «Märkische Argonautenfahrt» von 1950, die sieben Überlebende vom Naziterror erzählen lässt und noch dem Schrecklichsten einen Platz in der Heilsgeschichte zuweist. «Der Roman ist fertig, aber ach, ich auch», meldete die an multipler Sklerose leidende Dichterin am 25. Juni 1950 einem Freund, und dreissig Tage später, am 25. Juli 1950, standen die zwölf-, zehn und achtjährigen Töchter an ihrem Sarg. Cordelia aber, der sie das Kreuz auf die Stirn gedrückt hatte, überlebte Theresienstadt und Auschwitz und erzählte davon 1984 als Cordelia Edvardson im erschütternden Buch «Gebranntes Kind sucht das Feuer».