«Eine schreibende Frau mit Humor, sieh mal an!» frozzelte Kurt Tucholsky 1931 nach dem Erscheinen von «Gilgi, eine von uns» über Irmgard Keun. In der Tat war nicht nur der Erstling der 21jährigen Schauspielerin, sondern auch ihr zweites, 1932  publiziertes Buch, «Das kunstseidene Mädchen», in Sachen (Berliner) Witz, Schlagfertigkeit und  Tempo meilenweit von der übrigen Romanproduktion entfernt. Da wurden die Träume, Sehnsüchte und Depressionen kleiner Stenotypistinnen abgewickelt, und nicht die literarische Tradition, sondern das Kino bestimmte den Stil und  den Ton. «Aber ich will schreiben wie Film, denn so ist mein Leben und wird es noch mehr sein», notiert sich Doris, das kunstseidene Mädchen, in  ihr  intimes Traum-Tagebuch.
Weniger Humor zeigten die Nazis, die die zwei Bestseller 1933 zu «Asphaltliteratur» stempelten. Ab 1935 lebte Irgmard Keun in Frankreich und Belgien, war die  Geliebte Joseph Roths und publizierte 1937 in Holland «Nach Mitternacht»,  einen unmittelbar authentischen Roman über das Leben unter dem Nazi-Terror. 1940 wurde, von Hitler, Goebbels & Co. mit Befriedigung quittiert, ihr Selbstmord gemeldet, aber das war nur eine Finte, mit der sie es schaffte, den Krieg unentdeckt in Berlin zu überleben.
Obwohl sie ab 1945 auch die Nachkriegszeit hellsichtig thema-tisierte («Ferdinand, der Mann mit dem freundlichen Herzen», 1950), gab es kein Comeback. Sie arbeitete als Journalistin, brachte 1951 eine Tochter ohne Vater zur Welt, verfiel aber so sehr dem Alkohol, dass sie 1966 entmüdigt und in eine psychi-atrische Klinik gesteckt wurde. 1972 kam sie wieder raus, lebte arm und vergessen in Bonn und Köln und nahm 1980 mit Verwunderung zur Kenntnis, dass der Feminismus sie entdeckte und ihren Büchern zu neuem Erfolg verhalf. Als sie am 5.Mai 1982 starb, blieb  die Autobiographie, an der sie in den letzten Jahren gearbeitet hatte, unauffindbar. «Kein Anschluss unter dieser Nummer», hätte sie heissen sollen...