Der slowenische Marcel Proust: Lojze Kovačič (9. November 1928 - 1. Mai 2004)

Basel 1972. Der Gast aus Ljubljana will die Welt neu zum Leben erwecken, die vor 34 Jahren die seine war: das Kesselchen, mit dem er in Nachthemd und Mantel ins Milchläädeli ging, all die Gestalten und Stimmen, die in dieser Anhäufung von Häusern doch noch irgendwo zu finden sein müssten. Denn: «Wenn du dich nicht gänzlich in denjenigen versenkst, der du einmal warst, wenn du das Schreckliche aus der vergangenen Gegenwart ausschliesst, ist alles zusammengenommen einem immerzu gereizten Ungeheuer ähnlich.» Das Schreckliche - das war die Austreibung aus der Geburtsstadt, als der 10jährige 1938 mit den Eltern als unerwünschter Ausländer nach Slowenien ausreisen musste, war das Fremdsein in einer neuen Sprache, war der Krieg, der Hungertod des Vaters, die Deportation der Mutter nach Wien, die Jahre im Strafbataillon. Dann aber hat das Ungeheuer Vergangenheit Lojze Kovačič, so heisst der am 9.November 1928 in Basel geborene Slowene, zum Schreiben getrieben. 16 Bücher lang. Eher konventionell wie im ersten, erst 1968 publizierten Buch «Der Tod und der Knabe» von 1945, das erzählt, wie der Vater in seinen Armen starb. Verinnerlicht, assoziativ wie im Lebensroman «Die Zugereisten» von 1985, für den man ihn zum slowenischen Proust erklärte und der 2002 als erstes Werk im Drava-Verlag auch deutsch hätte erscheinen sollen, wegen Erkrankung des Übersetzers aber erst 2004/5 in zwei Bänden herauskam. Das eingangs erwähnte Buch aber ist der Roman «Basel» von 1986, der auf unerhört drastische, fast surreale und doch authentische, mit unzähligen Dialektsätzen angereicherte Weise erzählt, wie Kovačič 1972 vollkommen fremd in seiner Geburtsstadt herumging und im Zoo, Darwin persiflierend, erkannte: «S sinn allwyyl die Schlächteschte, wo fiirigblyybe.» - Kein Wunder, dass Kovačič für Andrej Spendovs deutsche Übertragung von «Basel» trotz verzweifelter Suche bis zu seinem Tod am 1.Mai 2004 in Ljubljana keinen Schweizer Verlag fand und der Text einzig in einem e-book des Slowenischen Schriftstellerverbands von 2016 greifbar ist.