Gottfried Keller

Als der Verwaltungsratspräsident der »Schweizer Rück« den Zürcher Behörden 1964 Otto Charles Bänningers Gottfried-Keller-Denkmal übergab, lobte er die »eigenartige und stimulierende Atmosphäre« des »sauber regierten Gemeinwesens«, wo sich die bescheidene Kleinstaatlichkeit glücklich mit deren notwendigen moralischen Grundlagen zu jener dem Geschäft besonders günstigen »gesunden Haltung« verbinde, die schon Gottfried Keller propagiert habe ...
Für was musste der gute Gottfried Keller, bloss weil er gezwungen war, sein Dichtertum für eine Beamtenstelle zu verpfänden, in den letzten hundert Jahren nicht schon alles herhalten! Auflüpfische Dichter wies man an seinem staatsbürgerlichen Optimismus in die Schranken, politischen Gegnern rieb man genüsslich Zitate aus seinen Büchern unter die Nase, patriotische Festreden ohne seine Erwähnung schienen jahrzehntelang schlicht undenkbar. Und bestimmt werden die Nachkommen jener Zürcher, die während der NS-Zeit den jüdischen Herausgeber seiner Werke aus nur allzu zeitbedingten Motiven und zur Freude des mediokren »Zürcher Olymps« ins Abseits prozessierten, auch Kellers 1990 fälligen 100. Todestag zu Geschäft und Traktandum erheben.
Was von den politischen Vermarktern seines Ruhmes aus verständlichen Gründen nicht gefeiert wurde, war der 100. Geburtstag von Kellers letztem Werk, dem Roman Martin Salander. Schon als diese bitterböse Satire auf die durch Vetternwirtschaft, Spekulation und Wachstums-Euphorie in Verruf gekommene Schweizer Demokratie 1886 erstmals erschien, munkelte man, Keller sei nun eben alt und blöd geworden und der Altersstarrsinn habe aus dem feurigen Republikaner des Grünen Heinrichs, des Fähnleins und von 0 mein Heimatland einen konservativen Reaktionär gemacht. Dabei hatte Keller den Salander-Plan jahrelang mit sich herumgetragen, ehe ihn die wachsende Besorgnis über den Weg, den das von ihm mitgestaltete republikanische Staatswesen im Zeichen des aufblühenden Kapitalismus nahm, doch noch bewog, ein Werk fertigzustellen, das er selbst weniger als Kunstwerk denn als politisches Manifest empfand.
Martin Salander, ein gläubiger Demokrat, kehrt zweimal als vermögender Mann aus Übersee nach Münsterburg zurück, verliert beim erstenmal alles an einen gewissenlosen Spekulanten und bringt es - nicht zuletzt dank seiner wunderbaren Frau Marie! - beim zweitenmal als Kaufmann zu Einfluss und Würden. Obwohl er selbst einer neuerlichen Pleite entgeht, muss er doch am Beispiel seiner beiden korrupten Schwiegersöhne erkennen, wie sehr die alten republikanischen Tugenden in den Händen von Bankiers, Karrierepolitikern und Eisenbahnmagnaten zu Opportunismus und Strebertum verkommen sind. Eine hoffnungsvollere, aber eher kraftlose Alternative eröffnet Salanders Sohn Arnold, der sich zwar den kommenden sozialen Aufgaben nicht stellen will, aber auch nicht zu jenen »kleinen Nabobs« gehören möchte, die »den weit über ihre Bedürfnisse reichenden Mammon ängstlich vergraben müssen ... «


Martin Salander ist u. a. als Diogenes-detebe 20527 greifbar. (Literaturszene Schweiz)