Hermann Hesse

Von den 712 Gersauer Telefonabonnenten trugen 1987 gerade noch 153 den Namen Camenzind. Mit der »Zufuhr frischen Blutes und Lebens von aussen her« muss es also, seit Hermann Hesse im Sommer 1900 im benachbarten Vitznau seinen Peter Camenzind zu schreiben begann, zügig vorwärtsgegangen sein. Das Dorf am See, das Hesse in Nimikon umgetauft hat und wohin er seinen Helden nach vergeblichen Versuchen, in Zürich, Basel und in Italien ein berühmter Schriftsteller zu werden, als bescheidenen Gastwirt heimkehren lässt, ist dort nämlich noch zu »reichlich drei Vierteln« von Camenzinds bewohnt!
Kein Zweifel: die Schauplätze und Personennamen, aber auch das Gottfried Keller verpflichtete Grundmotiv machen aus diesem Heimkehrerroman ein spezifisch schweizerisches Buch. Wie aber verhält es sich mit dem Autor? Darf man Hermann Hesse, den Schwaben, den Morgenlandfahrer, den Steppenwolf, den Glasperlenspieler, als einen Schweizer Schriftsteller bezeichnen?
Hesse selbst schrieb, als er den Camenzind 1903 an Samuel Fischer sandte, er sei »halber Basler, halb Schwabe«. Tatsächlich hatte er seine Jugend halb in Basel, halb im schwäbischen Calw verbracht und den Schweizer Pass 1890 nur gegen einen deutschen eingetauscht, weil er in Tübingen sonst kein Stipendium erhalten hätte. »Eine Art Mussdeutschen« nannte er sich darum 1923, als er die Wiedereinbürgerung beantragte, die ihm 1924 in Bern denn auch gewährt wurde.
Wer die Tausende von Briefen studiert, die er nach 1924 von Montagnola aus schrieb, ist erstaunt, wie zäh Hesse an seinem Schweizertum festhielt: als die Nazis ihn zum Exilschriftsteller stempeln wollten ebenso wie später im kalten Krieg, als die BRD und die DDR ihn jeweils auf ihre Seite zu bringen suchten. t:Jberzeugter »Schweizer und Republikaner«, verhimmelte er aber auch unser Land keineswegs. Mutiger als andere setzte er sich für die Verfolgten des Faschismus ein und liess sich auch nicht mundtot machen, als Rothmund ihn mit einer Anspielung an seine »frühere Heimat« disqualifizieren wollte. Nur zu gut wusste er, dass die gleichen Kreise, die ihm öffentlich lobhudelten, 1938 die rettende Übersiedlung seines Verlags nach Zürich vereitelt hatten, und er trug es auch mit Fassung, als er 1951 einer pazifistischen Äusserung wegen als Kommunist verdächtigt wurde. Überhaupt machte er sich über den Grad der Integration, die seine überragende Potenz in der helvetischen Enge erreichen konnte, nicht allzuviel Illusionen und beging vielleicht einzig den Fehler, dass er die Schweiz ein klein wenig mehr liebte als sie ihn. »Lieber wäre mir gewesen, wenn die Schweiz ... mich ernstlich als den Ihren betrachtet hätte«, bekannte er 1950, als Deutschland den Nobelpreisträger wieder für sich reklamierte, Karl Schmid gegenüber. »Aber mit den Jahren habe ich doch eingesehen, dass ich auch kein Schweizer bin und in kein Vaterland passe. «

Hesses Werk ist bei Suhrkamp, Frankfurt a. M., greifbar, Peter Camenzind u. a. als Suhrkamp-Taschenbuch 161. (Literaturszene Schweiz)