Jakob Christoph Heer

Merkwürdig: beide waren NZZ-Feuilletonredaktoren, als sie den Sprung in die freie Schriftstellerei wagten: Carl Spitteler (1845-1924) und Jakob Christoph Heer (1859-1925). Aber wie verschieden verliefen ihre Wege! Spitteler fand nach einer reichen Heirat in Luzern sein Elysium, das ihn in jene schwindelnden dichterischen Höhen trug, wie sie in der posthumen nationalen Werkausgabe zu bestaunen wären. Heer dagegen baute auf die Gunst des deutschen Publikums, für das er nach dem Grosserfolg mit An heiligen Wassern (1897) geschickt und geschäftstüchtig an jener Heidiland-Bergschweiz weitermalte, die Johanna Spyri so schön zu zeichnen begonnen hatte. Dem Walliser Roman, der später mehrfach ziemlich kitschig verfilmt wurde, liess er, um nur die berühmtesten zu nennen, 1900 den Bündner Roman Der König der Bernina folgen, 1905 erschien der Säntis-Roman Der Wetterwart - gekonnt geschriebene Bücher, die abgenutzte romantische Motive in freier Bergluft neu erstehen liessen.
Der Erste Weltkrieg liess Heers Neider triumphieren: die Schweizer Alpen sanken im Kurs, die Honorare gingen zurück, und die Devisensperre tat ein übriges. 1922 jedenfalls musste Heer, der es sich nicht einmal mehr leisten konnte, sein eigenes Haus in Rüschlikon (ZH) zu bewohnen, bei einer Tochter in Deutschland Zuflucht suchen. Als gebrochener Mann starb er am 20. August 1925 in Zürich. Wenige Monate zuvor war auch Carl Spitteler gestorben, von den Schweizern nicht seines elitären Werkes, sondern seiner patriotischen Haltung und des Nobelpreises wegen bis auf den heutigen Tag hoch geehrt.
Was aber blieb von J. C. Heer, dem »Volksschriftsteller«, der auf die deutsche Karte setzte? Mit Sicherheit mehr als das massige Granitdenkmal im Wald von Winterthur! Es bleiben jene autobiographisch gefärbten Werke, die gleichsam im Schatten der Bestseller entstanden sind: das zart-poetische Kindheitsbuch Joggeli, die Schriftstellerbiographie Tobias Heider, die posthum erschienenen Erinnerungen sowie die Fahrten des Kapitäns Spelterini, eine luftfahrtgeschichtliche Kuriosität ersten Ranges. Wer davon abstrahieren kann, - dass Heer diese Selbstschilderungen als weltberühmter Mann geschrieben hat, liest sie auch heute noch mit Vergnügen und Gewinn - sofern er sie überhaupt in den Bibliotheken noch auftreiben kann. Sie wurden früher derart oft gelesen, dass sie meist schon sehr abgegriffen und zerblättert sind ...
Übrigens war der flugerprobte Schriftsteller, der Hunderttausende für das Ferienland Schweiz begeistert hat, zugleich auch ein früher Warner vor Massentourismus und übertriebener Technisierung. Seine für die Schweizer Literatur der ersten Jahrhunderthälfte interessanten Erinnerungen schliesst er darum auch mit dem Wunsch nach einer Menschheit, »deren innere Kultur die Wunder ihrer Technik eingeholt hat«.
(Literaturszene Schweiz)

Heer, Jakob Christoph, *Töss (ZH) 17.7.1859, †Rüschlikon (ZH) 20.8.1925, Schriftsteller. Zunächst Primarlehrer in Oberdürnten (ZH), wurde H. im Gefolge seines Erstlings »Ferien an der Adria« (1888) und seiner Reportagen über den Luftschiffer Spelterini 1892 als Nachfolger Spittelers Feuilletonredaktor der NZZ. 1898 erschien das Buch, das ihn mit einem Schlag berühmt machte: »An heiligen Wassern. Roman aus dem schweiz. Hochgebirge«. Es ist die Geschichte des Josi Blatter, der seinem Walliser Heimatdorf zu lawinensicheren Wasserleitungen verhelfen kann, nachdem die Reparatur der frei hängenden hölzernen Kanäle immer wieder Opfer an Menschenleben gekostet hat. Mit diesem und ebenso erfolgreichen Hochgebirgsromanen wie »Der König der Bernina« (1900) und »Der Wetterwart« (1905) wurde H. neben E. Zahn zum meistgelesenen Vertreter des schweiz. Heimatromans. Eine Zeitlang war H. Redaktor an der »Gartenlaube« in Stuttgart, dann lebte er als freier Schriftsteller in Ermatingen (TG), Rüschlikon (ZH) und Oberrode bei Bad Hersfeld (Hessen). Der Zeit besser standgehalten als die mehrfach verfilmten eigtl. Heimatromane haben seine zeitgeschichtl. interessanten autobiograph. Bücher »Joggeli« (1902) und »Tobias Heider« (1922), seine Kindheitsgeschichte und der romanhafte Bericht über seine Lehr- und Wanderjahre. Postum erschienen seine »Erinnerungen« (1930), und eine Gesamtausgabe seines Werks (10 Bde., 1927). … Lit.: Heer, G.H.: J.C.H., Frauenfeld 1927; Kulda, M.M.: J.C.H., Versuch einer Monographie, Diss., Wien 1957. (Schweizer Lexikon)


Heer, Jakob Christoph

* 17. 7. 1859 Töss bei Winterthur, † 20. 8. 1925 Zürich. - Romanschriftsteller.
Nach dem Besuch des Gymnasiums in Winterthur erwarb H. 1879 am Seminar Küsnacht das Lehrerdiplom u. wurde 1882 Lehrer in Oberdürnten am Bachtel. Dank des Erstlings Ferien an der Adria (Frauenfeld 1888) u. seiner Reportagen über den Luftschiffer Spelterini (Im Ballon. Fahrten des Kapitäns Spelterini. Zürich 1892. Neuausg. 1980) wurde er als Nachfolger Carl Spittelers 1892 Feuilletonredakteur der »Neuen Zürcher Zeitung«. Dort erschien dann 1897 als Vorabdruck jenes Buch, das zusammen mit Der König der Bernina (Stgt. 1900) seinen Ruhm als neben Ernst Zahn erfolgreichstem Vertreter des Schweizer Heimatromans begründen sollte: An heiligen Wassern. Roman aus dem schweizerischen Hochgebirge (Stgt. 1898). Obwohl der Zeitungsabdruck in der Schweiz Proteste ausgelöst hatte, edierte Adolf Kröner den Band mit großem Erfolg im Stuttgarter Cotta Verlag. H. erzählt, hineingestellt in die für den Bergroman typische alpin-pittoreske, von urtüml. Menschen bevölkerte Szenerie, die Geschichte eines Außenseiters, der seiner Walliser Bergheimat den Fortschritt sicherer Wasserleitungen förmlich aufzwingen muß u. erst nach bitteren Enttäuschungen die ihm gebührende Anerkennung findet. Wie hier die Technik, so wird im König der Bernina der Fremdenverkehr als Gewinn für die Bergwelt dargestellt, während spätere Romane gelegentlich auch kritischere Töne anschlagen. So geht in Felix Notvest (Stgt. 1901) die stärkste Bedrohung der dörfl. Gemeinschaft von der Technik u. vom Fortschritt aus, u. Der Wetterwart (Stgt. 1905) handelt von einem ehemaligen Ballonfahrer, der als Wetterwart auf dem Feuerstein (Säntis) lebt u. von dort aus resigniert u. illusionslos auf die Welt u. seine Mitmenschen hinunterblickt. Auch den schweizerischen Schauplatz, der am Erfolg seiner Bücher in Deutschland maßgeblich beteiligt war, gab H. bisweilen auf: so in Laubgewind (Stgt. 1908), einem in München spielenden Künstlerroman.
H., der nach einem Zwischenspiel als »Gartenlaube«-Redakteur (Stuttgart) als freier Schriftsteller in Ermatingen/Bodensee, in Rüschlikon bei Zürich u. in Oberrode bei Hersfeld lebte, hat sein Bestes wohl in seinen autobiograph. Büchern gegeben: im Kindheitsroman Joggeli (Stgt. 1902) u. in Tobias Heider (Stgt. 1922), den romanhaften Erinnerungen an seine Jahre als Bergschullehrer u. angehender Schriftsteller. Aufschlußreich sind auch die postum erschienenen Erinnerungen (Stgt. 1930). H.s Heimatromane dagegen, die in Auflagen bis zu 744000 (Der König der Bernina. 1958) gedruckt u. mehrfach verfilmt wurden, galten zumindest seit dem Ende des Ersten Weltkriegs als bloße Unterhaltungsliteratur u. wurden von der Kritik kaum mehr ernstgenommen. - H.s Nachlaß liegt im Jakob-Christoph-Heer-Archiv der Stadtbibliothek Winterthur.

WEITERE WERKE: Gesamtausgabe: Romane u. Novellen. 10 Bde., Stgt. 1927.

LITERATUR: Gottlieb Heinrich Heer: J. C. H. Frauenfeld 1927. (Bertelsmann Literaturlexikon)