Eveline Hasler *1933
Eveline Haslers Leben gibt für eine süffige Story keinen Stoff her. Geboren am 22. März 1933 in Glarus als
Tochter eines Amerikaheimkehrers, studierte sie in Freiburg und Paris Psychologie und Geschichte, zog als Lehrerin in St.
Gallen mit ihrem Mann, einem Medienwissenschaftler, drei Kinder gross, kam über das Kinderbuch zur Literatur und lebt
seit dem Grosserfolg mit «Anna Göldin. Letzte Hexe» (1982) als Autorin von inzwischen achtzehn Werken –
Romane, Erzählungen und Gedichte – sowie von vierzig Kinderbüchern an einem Tessiner Schreibdomizil hoch über
dem Lago Maggiore. Spektakulär ist nicht Eveline Haslers eigenes Leben, sondern jenes von Figuren wie Anna Göldin
oder Emily Kempin-Spyri, die in einer vergangenen Zeit Unrecht erlitten und denen sie auf eine so packende und intensive Weise
schreibend zu neuem Leben verhilft, dass das «Journal de Genève» ihr schon 1993 den Ehrentitel «La
biographe des destins oubliés» («Die Biografin der vergessenen Schicksale») verleihen konnte. So ist
Anna Göldin eine schöne, sinnliche junge Frau, die, weil sie die ihrem Geschlecht gesetzten Grenzen
überschreitet, in einer von Aberglauben und Bigotterie geprägten Zeit mit getürkten Beweisen zur Hexe
erklärt und hingerichtet wird. Emily Kempin-Spyri, die «Wachsflügelfrau» (1991), endet entmündigt
im Irrenhaus, nachdem sie als erste Frau in die Männerdomäne Jurisprudenz vorgedrungen ist. Die
«Vogelmacherin» (1997) ist ein elfjähriges Mädchen, das 1652 hingerichtet wird, weil es behauptet hat,
Vögel machen zu können. Julie Bondeli in «Tells Tochter» (2004) tritt im Bern des Ancien Régime
für Freiheit und Reformen ein, obwohl ihr Lehrer Samuel Henzi als Aufwiegler hingerichtet worden ist. «Stein
bedeutet Liebe» (2007) wiederum liefert ein erschütterndes Porträt der Schriftstellerin Regina Ullmann, deren
teilweise Behinderung sie zum willfährigen Opfer von Männern wie Otto Gross gemacht hat, während «Und
werde immer Ihr Freund sein» von 2010 nicht nur Hesses unglücklicher Verlobten Ruth Wenger, sondern vor allem auch
der ebenso scheuen wie genialen Schriftstellerin Emmy Ball-Hennings ein Denkmal setzt. Eveline Hasler als Porträtistin
verkannter Frauen abzustempeln, griffe jedoch zu kurz. In «Der Zeitreisende» (1994) setzt sie sich mit ebenso viel
Emphase für Henry Dunant ein und zeigt, wie der Gründer des Roten Kreuzes als Bankrotteur vor seinen Gläubigern
fliehen musste und wie es fast ein Wunder war, dass er kurz vor seinem Tod doch noch die verdiente Anerkennung fand.
Ähnlich einprägsame Männerfiguren sind der Lehrer Thomas Davatz im Auswandereroman «Ibicaba. Das Paradies
in den Köpfen» von 1985 oder der 2,34 Meter grosse Melchior Thut in «Der Riese im Baum» von 1988, und
selbst in «Die Wachsflügelfrau» gibt es mit Emilys Ehemann Walter einen Mann, der sich selbstlos für die
Gleichstellung der Frau einsetzte. Aufklärerisch ohne Moralin tritt Eveline Hasler in ihren Kinderbüchern, unter
denen die Hexe Lakritze oder das Schweinchen Bobo nun schon die fünfte Kindergeneration begeistern, auch ihrem
jüngsten Lesepublikum gegenüber. Und doch ist über ihr Schreiben insgesamt festzuhalten, dass es weder die
Moral noch der Stoff noch das Faszinosum ihrer Figuren, sondern ihr sprachliches Können, ihr erzählerisches Flair
und ihre wundervolle Fähigkeit, Imagination mit Realität zu verschwistern, sind, worauf das Besondere und
Unverwechselbare ihres Œuvres beruht.
Besprechung "Tochter des Geldes" in der NZZ am Sonntag vom 31.02.2019