Jakob Haringer

Seine Gedichte gab er so gut wie unbesehen in Druck, einerlei, ob es Volltreffer waren oder gänzlich missratene Gebilde. Er dichtete, wie ihm zumute war, und das artete fast immer aus in weinerliches Klagen über das eigene Schicksal und in wüste Schimpftiraden gegen Gott, die Welt und die verhassten bürgerlichen Institutionen. 1898 in Dresden als Kind einer ledigen Mutter geboren, war Jakob Haringer nach der vorzeitig abgebrochenen Schulzeit und einem kurzen Kriegseinsatz auf den Gedanken gekommen, sich als vagabundierender Dichter durchs Leben zu schlagen. Im Zeichen des Expressionismus fand er da und dort Anerkennung, ging jedoch bald dazu über, sich mit falschen Doktortiteln, erfundenen Literaturpreisen und vorgetäuschten Buchveröffentlichungen in die Position eines literarischen Hochstaplers hineinzumanövrieren. »Ibin der grösste Dichter Europas«, pflegte er sich vor zustellen, und zu Geld kam der »Doktor h. c. der Académie française«, indem er an 400 »Dichterkollegen« mittels der im Kürschner gefundenen Adressen gedruckte Bettelbriefe versandte, die seine Lage auf drastische Weise schilderten und immerhin Leute wie Hermann Hesse und Alfred Döblin zu materiellen und moralischen Hilfeleistungen bewegten. Ab 1927 war Haringer wegen Zolldelikten und wegen Gotteslästerung steckbrieflich gesucht und lebte in Verstecken und bei Freunden quasi im Untergrund und ständig auf der Flucht.
Das änderte sich nicht wesentlich, als er 1938 vor dem Nationalsozialismus in der Schweiz Zuflucht suchte. Zwei Jahre lebte er auch hier praktisch im Untergrund, ehe die Polizei ihn erwischte und als »zwar intelligenten, aber völlig asozialen und bis zu einem gewissen Grad gefährlichen Menschen« wie es in den Akten hiess, ins Internierungslager Bellechasse steckte, wo er wie ein Schwerverbrecher behandelt wurde. Als er fliehen konnte, erreichten einflussreiche Freunde, dass Haringer in der Oetwiler Klinik »Schlössli«, im Erholungslager Leysin und schliesslich als »Privatinternierter« in Burgdorf und Bern leben konnte. Als er 1948 in Zürich unverhofft mit 50 Jahren starb, hatte Dr. von Haringer, wie er sich zuletzt bezeichnete, noch zwei Jahre in Ruhe und Zurückgezogenheit in einer Dachkammer in Köniz gelebt und an seinen Gedichten gearbeitet.
Er passte nicht in unsere ordentliche Welt hinein, der seltsame Poet mit der Biographie eines halt- und heimatlosen kleinen Ganoven. Aber in der Fülle seiner vielfach total verunglückten Gedichte sind immer wieder Verse zu finden, die in ihrer schlichten Musikalität und in der Echtheit der Empfindung zu den besten unseres Jahrhunderts zählen. Der erschütternde Achtzeiler Tot aus dem Jahre 1930 z. B.:

Ist alles eins
Was liegt daran,
Der hat sein Glück,
Der seinen Wahn.
Was liegt daran!
Ist alles eins,
Der fand sein Glück!
Und ich fand keins.



Bei Residenz, Salzburg, erschien 1988, herausgegeben von H. Holl und W. Kirsten, der Band Jakob Haringer: Aber des Herzens verbrannte Mühle tröstet ein Vers. Ausgewählte Lyrik, Prosa und Briefe.
(Literaturszene Schweiz)