Ein Barockmensch: Enrica von Handel-Mazetti (1871-1955)

«Ein in die Gegenwart verschlagener, von der antithetischen Seelenlage des 17.Jahrhunderts erfüllter Barockmensch» ist sie laut dem Germanisten Ernst Alker gewesen, die am 10.Januar 1871 in Wien als Tochter eines katholischen Berufsoffiziers und einer adligen protestantischen Mutter geborene und am 8.April 1955 in Linz verstorbene Enrica Baronin von Handel-Mazzetti. Bereits «Meinrad Helmpergers denkwürdiges Jahr», der erste, 1710 spielende und 1900 veröffentlichte Roman der Absolventin des katholischen Adelsstifts St.Pölten, galt der Konstellation, die sie in ihren wichtigsten Werken – «Jesse und Maria» (1906), «Die arme Margaret» (1910), «Stephana Schwertner» (1914), «Frau Maria» (1931) - beibehalten würde: Katholisch gegen Protestantisch in der kriegerischen und blutrünstigen Zeit der Gegenreformation, Religion als Lebensschicksal; Einfühlungsvermögen, ja tiefe Sympathie für beide Konfessionen - und die kaum je verhohlene heimliche Pointe, dass die evozierte oder erreichte bzw. erhoffte Versöhnung am Ende die Heimkehr der abgefallenen Schafe in den Schoss der Una Sancta Catholica bedeuten würde... Was die adlige Dichterin meisterlich beherrschte und was ihr zwischen 1906 und 1930 ein an die Hunderttausende zählendes Lesepublikum bescherte, war die spannende Darstellung von hochdramatischen historischen Entwicklungen, war das Fühlbarmachen feinster seelischer Regungen, war die lustvoll-direkte Beschreibung von Folterungen, Hinrichtungen und Todesqualen. Wie in «Meinrad Helmperger», wo der Titelheld den Foltertods des Vaters mit ansehen muss. Wie in «Jesse und Maria», wo die Hinrichtung des Lutheraners Jesse von Veldern parallel läuft mit der Versöhnung zwischen ihm und Maria, seiner katholischen Gegenspielerin. Oder wie in der «Armen Margaret», wo die (protestantische) Heldin ihren Vergewaltiger, den (katholischen) Leutnant von Herliberg, nachdem der ihrer Klage wegen beim Spiessrutenlaufen halbtot geschlagen wurde, zuletzt doch in ihren kräftig zupackenden Armen sterben lässt...