Ein Nibelung im Frack: Anastasius Grün (1808-1876)

Nach dem Wiener Kongress von 1815 herrschte mittels Polizei und Zensur überall in Europa die Reaktion. Fürst Metternich verkörperte sie in Wien, und 1831 stand unversehens ein «dürftiger Klient» namens Österreich vor seiner Tür und bat höflich, aber klar: «Dürft' ich wohl so frei sein, frei zu sein?» Was natürlich nicht in Wirklichkeit geschah, sondern in einem Buch mit dem Titel «Spaziergänge eines Wiener Poeten», verfasst von einem gewissen Anastasius Grün. Der wandert eines Morgens voll Freiheitssehnsucht über die Hügel Wiens, pfeift auf die Diktatur der «heuchlerischen dummen Pfaffen», die bald zusammenbrechen wird, und endet nach einem Blick auf die gute alte Zeit mit einem leidenschaftlichen Appell an den Kaiser: «Herr gib frei uns die Gefangenen: den Gedanken und das Wort!» Sieben Jahre brauchte die Polizei, um das Pseudonym zu lüften. Jahre, in denen der mysteriöse Anonymus auch im Deutschland des Vormärz zum Idol wurde und in denen er mit «Schutt» (1835) ungerührt in Prosa nachdoppelte. Um so grösser war das Erstaunen, als Grün am Ende als Anton Graf von Auersperg, Besitzer von Gütern in Thurn in der Krain, enttarnt wurde! Metternich selbst zitierte ihn zu sich und stellte ihn vor die Wahl, mit Schreiben aufzuhören oder auszuwandern. Welch letzteres Metternich 1848 bekanntlich selber tun musste, während Grün, von den Mitstreitern fallengelassen, zur Edition alter Texte wie dem Schwank «Der Pfaff von Kahlenberg» überging, eine Gräfin heiratete, k.u.k. Kammerherr wurde, im Frankfurter Parlament sass und der Ansicht war, es gebe auch unter Adligen liberale Köpfe bzw.«Nibelungen im Frack», wie sein komisches Epos von 1843 heisst. Lesenswert sind vom ersten Lyriker des erwachenden Vormärz, der 1808 in Laibach zur Welt kam und 1879 in Graz starb, noch am ehesten humorvoll-satirische Verse wie der folgende: «Hier ruht mein treuester Genoss' im Land,/ Herr Hypochonder zubenannt. /Er starb an frischer Bergesluft,/an Lerchenschlag und Rosenduft.»