Kreolisierung als Chance: Edouard Glissant (21. September 1928 - 13. Februar 2011)

«An nou Méd'luce. Ba co'ou mouvman. Jadin-a pa ka atan'n!» Auch wer Französisch kann, versteht die Sätze aus Edouard Glissants Roman «Malemort» («Gewaltsamer Tod») von 1975 kaum. Aber die nur gelegentlich kreolisch belassenen, teils in Vers, teils in Prosa daherkommenden Berichte über drei «Djobeurs» verschiedener Epochen machen erzählerisch fassbar, was die Sprache evoziert: die Halt- und Orientierungslosigkeit zwischen der Kultur der französischen Eroberer und der verlorenen Identität der Nachkommen afrikanischer Sklaven. Auch Glissant, am 21.September 1928 auf Martinique geboren, entstammte dem «métissage», und seit «La lézarde» («Sturzflut») von 1958 arbeitete er in Büchern wie «Le Quatrième Siècle», «La Case du Commandeur» oder «Tout-Monde» nicht nur die verbürgte Geschichte der Kreolen romanhaft auf, sondern imaginierte mit dem Mittel seiner abgründig-kreativen Phantasie auch das Verlorene bis hin zu den afrikanischen Wurzeln hinzu. Dabei stehen sich in seinem Kosmos immer wieder Nachkommen der Sklaven Béluse und Longué gegenüber, die 1788 auf Martinique ankamen und je einen unterschiedlichen Weg wählten: Anpassung an die Eroberer oder Bewahrung der Tradition und des alten esoterischen Wissens. Auch essayistisch hat Glissant die Kreolisierung immer wieder behandelt. Wobei der Pessimismus des «Discours Antillais» von 1981, wo die kollektive Depression der materiell gesicherten, politisch aber nach wie vor fremdbestimmten nachkolonialen Ära beschworen ist, dem mässigen Optimismus des «Traité de tout-monde» von 1997 gewichen ist, der im Zeichen des Internet in der Kreolisierung ein Gegenmittel gegen die Egalisierung durch die amerikanische Populärkultur und eine Chance für ein friedliches Nebeneinander der Kulturen sieht - nicht nur auf den Antillen, sondern auf der ganzen Welt! - Das eingangs Zitierte heisst auf Deutsch übrigens ungefähr: «Gehen wir, Médellus. Beweg dich. Der Garten wartet nicht!»