Elisabeth Gerter 1895–1955
Mit Argumenten wie: Sie könnten es sich «nicht leisten, solche Kandidaten zu unterstützen», oder indem
sie das «Schaffen» der Petentin in Anführungszeichen setzten, versuchten 1954 der Präsident und der
Sekretär des Schweizerischen Schriftstellervereins (SSV), Prof. Dr. Hans Zbinden und Dr. Franz Beidler, heimlich eine
Initiative der Schriftstellerin Cécile Lauber zu torpedieren, die der sterbenskranken Kollegin Elisabeth Gerter zu
einer Bundesunterstützung verhelfen wollte. Sie blitzten ab, und Elisabeth Gerter bekam dann effektiv bis zu ihrem
Krebstod am 28. August 1955 monatlich 500 Franken dringend benötigte Finanzhilfe. Der Vorgang, der das fragwürdige,
für die Exilautoren der Jahre 1933 bis 1945 fatale Gutachterwesen des SSV auch für die Nachkriegszeit dokumentiert,
wirft ein Schlaglicht auf die Art und Weise, wie die «studierten» Repräsentanten des Autorenverbands mit
einer Frau und Autodidaktin umsprangen. Mit «zeitloser Kunst» hatte sie tatsächlich nichts am Hut, die
schreibende Krankenschwester Elisabeth Gerter – zu nah erlebte sie die Not der eigenen Zeit. Ein «Document humain»
ersten Ranges war schon ihr erster, 1934 in der Büchergilde erschienener Roman «Schwester Lisa»: ein
entlarvender Bericht aus der Welt der Spitäler und über den Leidensweg einer couragierten Frau, die nicht nur von
den Arbeitgebern, sondern auch von einem nichtsnutzigen Ehemann ausgebeutet wird. Noch weiter als in diesem Roman, der zum
Entsetzen vieler eine Abtreibung beschrieb, ging Elisabeth Gerter – eigene Erfahrungen ins Kollektiv einer ganzen
Dorfgemeinschaft um setzend – mit dem zweiten Roman, «Die Sticker». Trotz Friedensabkommen nannte sie da die
sozialen Übelstände in der Ostschweizer Stickerei-Industrie beim Namen und formulierte unbestechlich, aber ohne
billige SchwarzWeiss-Malerei, was Tausenden auf der Seele brannte. Die Büchergilde lehnte ab, Oprecht wollte drastisch
kürzen, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als den Roman 1938 im Rengger-Verlag, einem mit ihrem zweiten Mann,
dem links engagierten Kunstmaler Karl Aegerter, eigens dafür gegründeten Unternehmen, herauszubringen. Der Roman
wurde entgegen der offiziellen Literaturkritik zum Erfolg, die Autorin aber war stigmatisiert: Mit Ausnahme der
Büchergilde-Werbegabe «Das silberne Tor» von 1945 erschienen bis 1962 ihre sieben weiteren Bücher alle
im kaum beachteten Eigenverlag. Darunter Werke wie die stärker autobiografische, hochinteressante Neufassung von
«Schwester Lisa», «Der fremde Klang», oder der Bergwerksroman «Denn sie wissen vom Licht».
Elisabeth Gerter, am 15. Juni 1895 in einer kinderreichen Familie in Gossau SG geboren, liess sich durch Misserfolge nie
kleinkriegen, sie schrieb, kämpfte immer weiter und publizierte, wo man sie eben druckte. Doch die von vielen verachtete
«Volksschriftstellerin» befasste sich mit den Themen, die von den gefeierten Koryphäen als tendenziös
angesehen und tabuisiert wurden: Arbeitslosigkeit, soziale Not, Emanzipation der Frau, Krieg. Was sie bei allem Verkannt-Sein
aber nicht ertrug, war, dass man ihr das Künstlertum absprach. So schrieb sie 1939 einer Kritikerin, die sie als
«Tendenz-Autorin» abqualifiziert hatte: «Ich nenne mich sehr wohl Künstlerin, denn unsäglich viel
hab ich gerungen, den immensen Stoff, der mir am Herzen lag, in eine lebendige Form zu bringen. Ich glaube sogar, das
Prädikat Künstlerin eher beanspruchen zu können als jene, die nur abgedroschene Themen von Grossvaters Zeiten
her ‹behandeln›.»