Sir Galahad

»An Anfang war die Frau. Der Mann erscheint erstmals in der Sohnesgestalt, als das biologisch jüngere und Spätere. Somit hat die Frau den Mann erschaffen, nicht umgekehrt ...« - So beginnt das Buch Mütter und Amazonen, von dem es in der Vorrede heisst: »Dies ist die erste weibliche Kulturgeschichte, sie bemüht sich, so einseitig wie möglich zu bleiben ...« Das Buch erschien erstmals 1932, und als Verfasser zeichnete jener Sir Galahad, der zwischen 1909 und 1919 bereits mit seiner pfiffig betitelten Übertragung der Werke des amerikanischen Optimisten Prentice Mulford für Aufsehen gesorgt hatte. Spätestens seit 1920, als der exzentrische, zeit- und gesellschaftskritische Roman Die Kegelschnitte Gottes erschien, war Eingeweihten kaum mehr zweifelhaft, was mit Mütter und Amazonen, dieser unverfrorenen Inanspruchnahme von Bachofens Mutterrecht durch den Feminismus, zur Gewissheit wurde: dass sich hinter dem Namen des jüngsten Gralsritters ein weiblicher Autor verbarg.
Sir Galahad hiess in Wirklichkeit Bertha Eckstein-Diener und wurde 1874 in Wien geboren. Tochter begüterter Eltern, war sie als Gattin des Literaten und Mäzens Friedrich Eckstein kurze Zeit Mittelpunkt eines Kreises von Künstlern und Dichtern, ehe sie sich einer unglücklichen Liebesbeziehung wegen ins gesellschaftliche Abseits manövrierte. Jahrzehntelang zog die Mutter zweier Kinder ruhelos in der Welt herum, bis sie sich ab 1920 am Genfersee niederliess, wo sie als »Dame de Lettres« arbeiten konnte, ohne ihr Pseudonym zu gefährden. Nicht eigentlich Emigrantin, kam sie in der NS-Zeit dennoch in arge Bedrängnis, als die Fremdenpolizei ihr auf Anraten des Schriftstellervereins die lebenssichernde Zeitungsmitarbeit verbot, ihr aber die Ausreise ins Ausland untersagte, weil sie die Steuern nicht bezahlen konnte. Sie sei »quasi mittellos« und friste »ein peinliches Leben als halber Zechpreller«, schrieb sie 1942 in einem Brief. »Nun kann ich zwar fast von Luft leben, das völlig ungeheizte Zimmer im eiskalten Februar hat aber als &Mac221;Frühlingsahnen&Mac220; nicht nur eine Bronchitis, sondern auch eine Frostbeule zur Entfaltung gebracht. . .« Dass unter solchen Umständen der Roman Der glückliche Hügel, den sie 1943 im AtlantisVerlag herausbrachte, zu einer spannenden, lebensvollen Darstellung von Richard Wagners amourösem Zürcher Exil geriet, grenzt schon fast an ein Wunder!
1947, als sie endlich eine Möglichkeit sah, das unerfreuliche Schweizer mit einem italienischen Domizil zu vertauschen, zog sie sich bei einem Sturz schwere Verletzungen zu, denen sie am 20. Februar 1948 in Genf erlag. Auf der Toten fand sich ein Zettel, der für Leben und Werk dieser eigenwilligen kämpferischen Frau charakteristisch ist: »Bitte bestehen Sie darauf, dass der Lanzettstich ins Herz vom Arzt gemacht wird, ehe ich ins Crematorium gebracht werde; ich will nicht im Fourneau aus dem Scheintod erwachen.«
«Mütter und Amazonen» ist als Ullstein-Taschenbuch 34384 greifbar. Das Fischer-Taschenbuch 5663 bringt eine mit Textauszügen angereicherte Galahad-Biographie von Sybille Mulot-Déri.

(Literaturszene Schweiz)