Gertrud von le Fort 1876–1971

Wenn es möglich ist, mit den Mitteln des Romans Mission zu treiben und das mystische Flair manifest zu machen, das der katholischen Religion – gerade auch in Rom – durchaus eigen sein kann, dann ist das im Roman «Das Schweisstuch der Veronika» gelungen, den die preussische Offizierstochter Gertrud von le Fort, geboren am 11. Oktober 1876 in Minden, gestorben am 1. November 1971 in Oberstdorf, 1928, zwei Jahre nach ihrer Konversion zum Katholizismus, publiziert hat. Veronika, «Spiegelchen» genannt, wächst in Rom bei ihrer Grossmutter auf, die «mit der Ewigen Stadt den mystischen Bund eines geistigen Heimatverhältnisses» geschlossen hat. Aber da ist auch Enzio, der junge Dichter, der in Rom jenen «Weltrausch» zu verspüren meint, der ihn eines Tages dem Faschismus in die Arme treiben wird. Und da ist nicht zuletzt die exzentrische Tante Edelgart, die erst konvertieren will, dann aber zur hasserfüllten Kirchengegnerin wird und auch Veronikas sich anbahnende Konversion verhindern will. Als sie sich dennoch taufen lässt, versucht Edelgart sie im Wahnsinn mit einem Kreuz zu erschlagen, bringt sich jedoch selbst tödliche Verletzungen bei. Veronika aber, die von ihrer Grossmutter gelernt hat, dass «nur kraftvolle und geschlossene Persönlichkeiten es wagen können, sich völlig hinzugeben, und dass zum wirklichen Gehorsam eine grosse, innerlich freie Seele gehört», wird bei ihrem Glauben bleiben und auf ihrem Gesicht das Antlitz Christi in die Welt hinaustragen – wie ihre Namenspatronin auf deren legendärem Tuch! Anders als ihre Schwestern in «Die ewige Frau» (1934) oder Blanche, «Die Letzte am Schafott» (1931), ist diese Frau nicht ein fast schon masochistisches Opfer der Männerwelt, sondern eine freie, bewusst wählende Persönlichkeit. Stärker als die – missglückte – Fortsetzung «Der Kranz der Engel» von 1946, die von traditionalistischen katholischen Kreisen scharf angegriffen wurde, setzt «Das Schweisstuch der Veronika» die kraftvoll-euphorische Glaubenszuversicht in jene erzählende Prosa um, die die Dichterin 1924, noch als Protestantin, in ihren «Hymnen an die Kirche» erstmals hatte laut werden lassen. Von allem Anfang an liess Gertrud von le Fort ihre Werke in historischen Zeiten spielen. Von den Kämpfen, Siegen und Niederlagen der Menschheitsgeschichte war sie zutiefst bewegt, ihre vorbehaltlose Liebe aber konnte sie, wie ihre Bücher über Hildegard von Bingen und Katharina von Siena zeigen, nur dem entgegenbringen, was von Heiligkeit erfüllt war. So kam es nicht von ungefähr, dass nach 1945 eine von der Gegenwart verunsicherte Epoche ihre Bücher wie Heilmittel aufnahm und die Schriftstellerin zur Bestsellerautorin machte. Von der Novelle «Die Frau des Pilatus» wurden 1955 64 000 Exemplare abgesetzt, «Das Schweisstuch der Veronika» lag zuletzt in der 52. Auflage vor. «Die Letzte am Schafott» erreichte 26 Auflagen, wurde dramatisiert, verfilmt und von Georges Bernanos zur von Francis Poulenc vertonten Oper «Dialogues des Carmélites» verarbeitet. «Du hast es weit gebracht, meine kleine furchtsame Blanche», schrieb die Dichterin 1960 anlässlich der deutschen Uraufführung, «möge es der gewaltigsten und tiefsten aller Künste geschenkt sein, uns heutige Menschen, die nicht weniger von Todesangst umwittert sind als du und deine Zeit, den Eindruck jener Gnade zu vermitteln, die alle menschliche Ohnmacht aufhebt in den Sieg Gottes».