Adolf Frey
Als Adolf Frey am 1. Dezember 1898 dem Sarge C. F. Meyers folgte, hatte er die Biographie des Toten so gut wie fertiggestellt. »Frey hat meinen Leichnam gepachtet«, soll Meyer dem Rezitator Milan gegenüber einmal geäussert haben - ein Scherz, der ebensogut von Arnold Böcklin, Rudolf Koller, Albert Welti oder Ferdinand Hodler stammen könnte, die nach ihrem Tode ebenfalls mit Frey-Biographien bedacht werden sollten.
Im Mittelpunkt von Freys Bemühungen standen jedoch eindeutig die Dichter Keller und Meyer, deren Werk der Zürcher Literaturprofessor zum Massstab und Vorbild aller künftigen Schweizer Literatur erheben wollte. Mit Widmanns Segen von Bern her kommend, hatte der junge Aargauer sich im gleichen Jahre 1877 sowohl Meyer als auch Keller angenähert und sich ihre Freundschaft bis zuletzt zu erhalten gewusst, indem er ihre Bücher in der in- und ausländischen Presse zu zeitlosen, über jeden Zweifel erhabenen Kunstwerken emporstilisierte. Von Meyer liess er sich ausdrücklich zum Biographen ernennen, aber auch im Falle Kellers hielt er lebenslang an einer Art Gralshüter-Legitimation fest. »Einen völlig deutlichen Begriff von seinem Wesen besitzt nur derjenige«, erklärte er am 19. Juli 1919 als Festredner zu Kellers 100. Geburtstag, »der ihn öfter gesehen und gesprochen hat.«
Frey beschränkte sich nun aber keineswegs darauf, die Generation der Faesi, Bohnenblust und Korrodi anhand von Keller und Meyer auf ein zeitloses Literatur-Ideal zu verpflichten, sondern er trat, indem er die Nachahmung der Vorbilder mit seiner Vaterlandsbegeisterung und seiner Vorliebe für das stilisierte Pathetische verknüpfte, auch selbst als Dichter in Erscheinung. Neben schwermütigen Balladen und Gedichten - darunter ein bemerkenswert früher Zyklus in Aargauer Mundart - schuf er eine Reihe patriotischer Festspiele sowie Bernhard Hirzel und Die Jungfer von Wattenwil: zwei Romane um Outsiderschicksale, die schlaglichtartig zeigen, zu welchen Umdeutungen Frey bereit war, wenn sich die historische Wirklichkeit nicht mit den hehren Ansichten von Kunst und Moral vereinbaren liess.
Als er am 12. Februar 1920 mit 65 Jahren einem Krebsleiden erlag, konnte Adolf Frey die Gewissheit mit ins Grab nehmen, dass seine Freunde und Schüler für seinen Nachruhm besorgt sein würden. Was Rang und Namen in der Schweizer Literatur besass, hatte noch zu seinen Lebzeiten in einem umfangreichen Adolf-Frey-Buch sein Loblied angestimmt. Bereits 1925 lag auch eine zweibändige, 794seitige Frey-Biographie vor. Verfasserin war Lina Frey-Beger (1853-1942), die Witwe des Verstorbenen. Die aus Deutschland gebürtige promovierte Historikerin hatte schon am Ruhm des Lebenden nach Kräften mitgewirkt, den Toten aber wollte sie nun endgültig unter die Olympier einreihen. Ebenso frenetisch und kritiklos, wie Frey selbst seinen Vorbildern Keller und Meyer gehuldigt hatte, feierte die Witwe jetzt sein eigenes epigonales Lebenswerk. Selbstredend erscheint er im Bunde der Grossen nun als der Dritte, und einmal heisst es, dunkel drohend: »Ein Volk, das solche Dichter vergässe, vergässe sich selbst.« Spitteler, obwohl zum Lob auf Gegenseitigkeit geradezu verpflichtet, verrannte sich da weniger weit, als er 1907 zu Freys Gedichten meinte: »Ich glaube, über Lyrik entscheidet nicht das Urteil Einzelner, das wird von der Nation bestätigt oder nicht bestätigt im Lauf der Zeiten. . . « (Literaturszene Schweiz)
Frey, Adolf
*Aarau 18.2.1855, Zürich 12.2.1920, Literaturwissenschafter und Schriftsteller. F., ein Sohn des Volksschriftstellers Jakob F. (*1825, 1875), wurde 1882 nach Studien in Bern, Leipzig, Berlin und Zürich Deutschlehrer am Aarauer Gymnasium und 1898 Nachfolger J. Bächtolds als Prof. für dt. Literatur an der Univ. Zürich. Befreundet mit G. Keller und C.F. Meyer, wurde er nach deren Tod zum Biographen der beiden Dichter (»Erinnerungen an G. Keller«, 1892; »C.F. Meyer, sein Leben und seine Werke«, 1900), richtete aber auch seine Lehre sowie seine eigenen belletrist. Werke nach dem Kanon, den er anhand dieser Vorbilder konstruierte. Seine epigonale Lyrik (»Totentanz«, 1895; »Stundenschläge«, 1920) wurde von den Zeitgenossen grotesk überschätzt, und auch mit den Romanen »Die Jungfer von Wattenwil« (1912) und »Bernhard Hirzel« (1918) erreichte er nicht, was er anstrebte: neben Keller und Meyer der dritte grosse Dichter der Schweiz zu sein. Am originellsten war er in seinen Anfängen noch als Dialektlyriker (»Duss und underm Rafe. Füfzg Schwizerliedli», 1891), eine Spielart, die er später nicht wieder aufnahm. 1920 publizierten Freunde ein schmeichelhaftes »A.-F.-Buch«, 1923-25 seine Witwe Lina F.-Beger die zweibändige, völlig unkrit. Biographie »A.F. Sein Leben und sein Schaffen«. (Schweizer Lexikon CH 91)
Frey, Adolf
* 18. 2. 1855 Aarau, 12. 2. 1920 Zürich. - Germanist, Lyriker, Epiker, Dramatiker.
Der Sohn des Volksschriftstellers Jakob Frey (1825-1875) studierte in Bern u. Zürich Germanistik (Dr. phil. 1878). 1879-1882 bildete F. sich in Leipzig u. Berlin weiter u. übernahm anschließend eine Lehrstelle am Aarauer Gymnasium. 1883 heiratete er Lina Beger. Als Nachfolger Jakob Bächtolds wurde er 1898 an die Universität Zürich berufen. Seine persönl. Bekanntschaft mit Gottfried Keller u. C. F. Meyer ermöglichte es ihm, sich biographisch u. editorisch mit den beiden Dichtern zu befassen. Wichtigste Früchte dieser Tätigkeit sind die Erinnerungen an Gottfried Keller (Lpz. 1892), C. F. Meyer. Sein Leben und seine Werke (Stgt. 1900) sowie die zweibändige Ausgabe der Briefe C. F. Meyers (Stgt. 1908). Daneben pflegte F. auch das Werk seines Vaters, das er 1885 in fünf Bänden edierte. Zu Carl Spitteler stand er lange Zeit in einem freundschaftl. Beraterverhältnis (s. dazu den Briefwechsel, hg. von Lina Frey-Beger, Frauenfeld 1933). Von F.s Beschäftigung mit der bildenden Kunst zeugen seine Biographien Arnold Böcklin (Stgt. 1903), Der Tiermaler Rudolf Koller (Stgt. 1906) u. Ferdinand Hodler (Lpz. 1922). Als Dichter hatte F. mit einem Band Gedichte (Lpz. 1886) debütiert u. mit seinen schweizerdt. Versen Duss und underm Rafe (Frauenfeld 1891) der (von ihm selbst nicht weiter gepflegten) Mundartlyrik mächtig Auftrieb gegeben. Von seiner patriotischen Gesinnung zeugen Festspiele, z.B. Festspiele zur Bundesfeier (Aarau 1891), u. die histor. Tragödie Erni Winkelried (Frauenfeld 1893). F. erreichte damit aber nie die erstrebte volkstüml. Popularität. Eher akademisch wirken auch seine beiden großen histor. Romane Die Jungfer von Wattenwil (Stgt. 1912) u. Bernhard Hirzel (Zürich 1918).
WEITERE WERKE: Albrecht v. Haller u. seine Bedeutung für die dt. Lit. Diss. Lpz. 1879. - Schweizersagen. Lpz. 1881. - Johann Gaudenz v. Salis-Seewis. Frauenfeld 1889 (Biogr.). - Totentanz. Aarau 1895 (L.). - Ahaswers Erwachen. Dichtung. Lpz. 1904. - Festkantate zur Universitätsweihe in Zürich. Zürich 1914. - Schweizer Dichter. Lpz. 1914. - Blumen. Ritornelle. Zürich 1916. - Albert Welti. Zürich 1919 (Biogr.). - Stundenschläge. Letzte Gedichte. Lpz. 1920. - Lieder u. Gedichte. Hg. Gottfried Bohnenblust. Lpz. 1922. - Aus Literatur u. Kunst. Unveröffentlichtes oder Unzugängliches aus dem Werk v. A. F. Hg. Lina Frey-Beger. Frauenfeld 1932. - Ausgew. Gedichte. Aarau 1938.
LITERATUR: Lina Frey-Beger: A. F. 2 Bde., Lpz. 1923 u. 1925.
(Bertelsmann Literaturlexikon)