Er erfand das Land Phantasien: Michael Ende (12. November 1929 - 28. August 1995)

Leicht hat er es nie gehabt, dieser Michael Ende, der mit seinen Büchern Millionen junger Menschen wunderbar phantasievoll zu «Sehern» machte. Am 12. November 1929 in Garmisch geboren, gehörte er der jüngsten Generation derer an, die das Nazireich bewusst erlebten: als Sohn des als «entartet» diskriminierten Malers Edgar Ende, als Überlebender des Hamburger Feuersturms, als Adressat von Hitlers letztem Aufgebot, dem er sich 1945 durch Flucht entziehen konnte. Schauspieler, Kabaretttexter, Filmkritiker und Dramatiker – nirgends gelang ihm in der Nachkriegszeit der Durchbruch. Bis ihn 1956 die Narratori auf Italiens Marktplätzen dazu brachten, für Kinder zu schreiben: 1960 «Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer» - 1961 von der Augsburger Puppenkiste zum Evergreen gemacht -, 1973 «Momo», die unerhört bildkräftige Geschichte des Kindes, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbringt, 1979 «Die unendliche Geschichte», in der Bastian Balthasar Bux das Buch jenes Titels findet und als Leser nicht nur virtuell, sondern «ganz real» ins Land Phantásien gerät, wo er Abenteuer um Abenteuer besteht und zuletzt zum Retter der magischen Welt avanciert, in die laut Ende ein jeder «ab und zu reisen muss, um sehend zu werden». Auch der Erfolg brachte Ende kein Glück. Das Kino machte 1984 aus der «Unendlichen Geschichte» den «schlimmsten Kommerz und Kitsch», von dem er sich lauthals distanzierte, während er Johannes Schaafs «Momo»-Film 1986 zummindest als «verharmlosend» empfand. Der Tod seiner Frau stürzte ihn 1984 in eine tiefe Krise, und 1988 brachte ihm ein Steuerberater den Ruin. Als er 1995 66jährig starb, waren 15 Millionen Bücher verkauft und ignorierten ihn die professionellen Literaten weiterhin. «Man darf von jeder Tür in den literarischen Salon treten», hatte der Mann, der den Potter-Boom auf inspirierte Weise antizipierte, 1985 Joseph Beuys gesagt, «aus der Gefängnistür, aus der Irrenhaustür oder aus der Bordelltür. Nur aus einer Türe darf man nicht kommen: aus der Kinderzimmertür!»