Den Moloch Stadt im Nacken: John Dos Passos (14. Januar 1896 - 28. September 1970)

Proust und Joyce hätten «Abhandlungen aus dem Gebiet der Harmonielehre geliefert, gelehrt und verteufelt langweilig», «Manhattan Transfer» aber sei «die erschütternde Sinfonie selbst». Das Lob spendete Sinclair Lewis, der mit dem 11 Jahre jüngeren John Dos Passos im Kampf für die Erniedrigten und Beleidigten einig ging, formal aber Welten hinter der Modernität jenes New-York-Romans von 1925 zurücklag, der den Moloch Stadt am Beispiel einer Vielzahl unterschiedlicher Figuren in konsequent filmischer Erzähltechnik als ein jeden Individualismus zerstörendes Räderwerk zeichnete. Am 14.Januar 1896 in Chicago als Sohn eines Anwalts portugiesischer Herkunft geboren, hätte Dos Passos allen Grund gehabt, das eigene Leben zu Literatur zu machen: Kind einer Frau, die der Vater, weil er sich von der geisteskranken Ehefrau nicht scheiden lassen durfte, nicht heiraten konnte, wuchs er inkognito in Hotels in Spanien und Frankreich auf und kam erst mit 10 Jahren in die USA, wo er, obwohl die Kollegen ihn als «Frenchy» hänselten, schon mit 15 in Harvard Aufnahme fand und mit 20 sein Examen machte. Aber die Begegnung mit dem revolutionären Autor Pio Baroja 1916 in Madrid und die Erlebnisse als Sanitäter an der Kriegsfront 1917/18 machten ihn zum engagierten Kämpfer für die Rechte des Individuums gegenüber totalitären Ansprüchen jeder Art. Jene des Militarismus im ersten Erfolg «Three Soldiers» von 1921, wo er drei Vertreter der «Verlorenen Generation» in ihrer Zerstörung durch die Kriegsmaschinerie vorführt. Und jene der modernen kapitalistischen Gesellschaft, deren Opfer er nicht nur in «Manhattan Transfer», sondern auch in seinem Opus magnum, der 1930–1936 entstandenen, erzähltechnisch revolutionären Trilogie «U.S.A», auf unbeschönigt realistische Weise abbildete. So unbeschönigt , dass Dos Passos, der vor seinem Tod am 28.September 1970 noch Anhänger des rechtskonservativen Präsidentschaftskandidaten Goldwater geworden war, es am Ende selbst nicht mehr geglaubt haben dürfte...