Im Garten einen Galgen errichten: Julio Cortázar (26. August 1914 - 12. Februar 1984)

«Statt einen Schlag auf den Kopf einen absolut antiromanhaften Roman, mit nachfolgendem Skandal und Schock, vielleicht mit einer Öffnung für die Hellsichtigsten», bot Julio Cortázar 1963 mit «Rayuela»/«Himmel und Hölle» an. Aber nicht für «Leser-Weibchen», sondern für «Leser-Komplizen», die willens seien, sich selbst einen Weg durch das Labyrinth zu bahnen. In dessen Mitte der Intellektuelle Oliveira steht, der sich am Ende wie Musil auf die reine Beobachterhaltung zurückzieht, während der Erzähler Morelli im Gefolge von Hofmannsthals «Chandos-Brief» zu jenem «Zerschreiben» übergeht, das er dann 1968, im Experimentalroman «62/Modellbaukasten», ganz konkret exemplifizieren wird. Wie Borges verstand Cortázar Schreiben als Exorzismus: «Eindringlinge abwehren, indem man sie in einer Art und Weise projiziert, die ihnen paradoxerweise eine universale Existenz verleiht.» Was er schon 1960, im Erstling «Los Premios» /«Die Gewinner», hinterhältig-genial realisierte, indem er die Passagiere einer Kreuzfahrt zu Gewinnern einer Lotterie verfremdete und als Exponenten einer absurden Odyssee in der ganzen Leere und Haltlosigkeit ihrer Existenz vorführte. Normales und Abnormes gerät auch in seinen Erzählungen durcheinander, wo noch die kleinste Form experimentell aufbricht. Zwischen Essay und Fiktion leiten einen z.B. die «Geschichten der Cronopien und Famen» 1962 in «Gebrauchsanweisungen» zu Tätigkeiten wie Weinen, Singen, Angst-Haben und Ameisen in Rom töten an, während im Garten einen Galgen errichten oder auf der Post Gratisschnaps verteilen als «seltsame Beschäftigung» figuriert. In einem nur verstand Cortázar, der am 12.Februar 1984 70-jährig im Pariser Exil starb, keinen Spass: wenn es um Lateinamerikas Despoten ging. Deshalb schrieb er 1973, experimentell wie eh und je, aber auch angriffig wie nie zuvor, das «Album für Manuel», diese Abrechnung mit den Diktaturen unserer Epoche, die man noch jahrzehntelang nicht ohne Erschütterung wird lesen können.