Phantasie und Exzess: Jean Cocteau (1889-1963)

Orpheus bringt Eurydike mit einem sprechenden Pferd zur Weissglut, aber als Frau Tod sie entführt, holt er sie vom Hades zurück. Im Streit sieht er sie unerlaubterweise an, und als sie zurück muss, folgt er ihr in den Tod bzw. verlässt er die Bühne und sein vom Hals getrennter Kopf rollt wehklagend herein. Wie heissen Sie, fragt der Polizist den Glaser Heurtebise, den er der Tat verdächtigt. «Jean Cocteau», antwortet statt ihm der inzwischen auf einen Sockel gepfählte Kopf... «Orphée», die surreale Adaption eines antiken Stoffs, ist charakteristisch für Jean Cocteau, den Klaus Mann einen «absoluten Ästheten, Fanatiker der Form, des Scheins, des Ausdrucks, der Gebärde» nannte. 1926, im Jahr von «Orphée», hat das poetische Wunderkind von 1906, das Péguy und Mauriac verehrt hatten, schon einiges hinter sich: die Absage an die Tradition unter dem Einfluss von Strawinsky, die Gründung des «Groupe des Six», das zeichnerische Debüt unter dem Namen seines Hundes, Jim. Ferner: «Parade», «Le coq sur le toit», «Thomas l'imposteur» und die erste Opium-Entziehungskur. Aber damit nicht genug. 1929, mit «Les enfants terribles», schuf er den Werther seiner Generation, «Les parents terribles» von 1938 entzauberten die bürgerliche Familie auf mitleidlos-pessimistische, inzestuöse Art. 1932, mit «Le sang d'un poète», begann die Reihe der Tribute an die zehnte Muse, die im Tristan-Film «L'Eternel retour» (1944) und in «La Belle et la Bête» (1945) gipfelten. Später aber, als er dreimal die Jury von Cannes präsidierte und als Liebhaber schöner Männer wie des Schauspielers Jean Marais in die Klatschspalten kam, war ihm das Filmglück nicht mehr hold. 1954 Mitglied der «Académie» geworden, kehrte er zu den Anfängen zurück: zu den Gedichten von «Clair-Obscur» bzw. zum «Requiem» von 1962. Als er am 11.Oktober 1963 74jährig starb, war er eben daran, einen Nekrolog auf Edith Piaf zu schreiben, deren bombastische Beerdigung dann seine eigene, am gleichen Tag erfolgende ganz in den Hintergrund treten liess.