Charles-Albert Cingria

1940, als es um die Bundessubvention für Charlesi Albert Cingrias Variétés sur la musique ging, befürwortete der Schriftstellerverein zwar die Unterstützung des »in prekären Verhältnissen lebenden Künstlers«, schätzte das Werk jedoch als für eine Publikation »zu weltfremd und zu kompliziert« ein: »Es stellt eine sonderbare Mischung von Geschichte, Dichtung und Wahrheit dar und ist nicht ohne dichterisches Talent geschrieben. Die Sprache ist nicht selten schwerfällig, um nicht zu sagen schwülstig. «
Was würde der damalige Gutachter, SSV-Sekretär Egli, wohl angesichts der seit 1981 bei »L'Age d'homme« greifbaren 17bändigen Gesamtausgabe von Cingrias Werken und Briefen für Augen machen? Charles-Albert Cingria, Historiker, Musikschriftsteller und Feuilletonist, Propagandist einer langobardisch-burgundischen Geisteskultur römischer Provenienz, Verfasser unzähliger Reisefeuilletons und von ein paar wenigen Büchern über so unspektakuläre Themen wie die Kultur von St. Gallen oder die Burgunderkönigin Bertha - dieser CharlesAlbert Cingria machte es den Zeitgenossen nicht leicht, seine Genialität zu erkennen! Sie beruht nämlich weit weniger auf dem Inhalt seiner Texte als auf der unnachahmlich eigenwilligen Weise, wie er seine Stoffe in Angriff nahm und sprachlich gestaltete. »Etwas Freieres als Cingrias Sprache«, urteilte Jean Cocteau, »kann ich mir auf den geheimnisvollen Wanderungen des Geistes nicht denken. «
Er ist stets für eine Überraschung gut, dieser nomadische Polyhistor, der sich als Essayist und populärer Wissensvermittler zwischen den verschiedensten Disziplinen des Geistigen ebenso rastlos hin und her bewegt wie im geographischen Sinn zwischen Standorten wie Genf, Paris, Rom, Konstantinopel oder St. Gallen. Bereiche wie der Gregorianische Choral oder die mittelalterliche Dichtung und Malerei waren für den ehemaligen Engelberger Klosterschüler, der den altehrwürdigen Codices mit dem Velo nachzureisen pflegte, absolut nichts Verstaubtes oder Totes, sondern eine täglich neu erfahrbare, faszinierende Realität. Was ihn begeisterte, setzte Cingria .aber nicht in gelehrte Abhandlungen, sondern in humorvolle, pointierte Feuilletons und Impressionen um. Kurze, harmlos anmutende Texte, die zu seinen Lebzeiten in vielerlei Zeitungen und Zeitschriften verstreut lagen und erst heute, da sie in ganzer Fülle gesammelt vorliegen, erkennen lassen, was die Romandie an die sein C.-A. Cingria besitzt: einen erfrischend leicht gewichtigen, mediterran-geistreichen Kontrapunk zum gedankentiefen, alpin-erdenschweren C.-F. Ramuz!
Gut, dass auch der deutschsprachige Leser die Möglichkeit hat, eine Anzahl von Cingrias gelungensten Prosastücken in ihrem ganzen Charme und in komprimierter Auswahl auf sich wirken zu lassen im Band «Unterwegs zu Freunden und Landschaften» des Arche-Verlags und in Friedhelm Kemps Anthologie «Dieses Land, das ein Tal ist», erschienen 1985 innerhalb der CH-Reihe bei Benziger und Ex Libris.2001 erschien innerhalb der Edition Reprinted by Huber in Frauenfeld das Leseuch «Ja, jeden Tag neu geboren werden…», mit Übersetzungen von Hanneliese Hinderberger, Friedhelm Kemp und Barbara Traber. In einem ausführlichen illustrierten Nachwort versucht der Herausgeber, Charles Linsmayer, Cingrias Lebensweg nachzuzeichnen.