Rainer Brambach 1917–1983
Er «kenne die Gefängnisse in- / und auswendig, / und auswendig die Sprache der Henker», hat Rainer Brambach,
der am 22. Januar 1917 als Sohn eines deutschen Klavierstimmers und einer Berner Herrschaftsköchin in Basel geboren
wurde, im autobiografischen Gedicht «Niemand wird kommen» erklärt. Was darauf anspielt, dass der öfters
mal arbeitslose Maler, Ausläufer, Möbelträger und passionierte Autodidakt, der dem Pass nach bis kurz vor
seinem Tod Deutscher blieb, 1939 als «arbeitsscheuer Herumtreiber» aus Basel ausgewiesen und nach einer
abenteuerlichen Rückkehr als Wehrmachtsdeserteur in den Strafanstalten Thorberg und Witzwil interniert worden war. In den
fünfziger Jahren arbeitete er, nach einem Abstecher in die Werbebranche, wie einst Friedrich Glauser als Gärtner.
Die Lyrik, die er ab 1959 in Bändchen wie «Tagwerk», «Ich fand keinen Namen dafür» oder
«Wirf eine Münze auf» unter der Ägide von Günter Eich, Hans Bender, Jürg Federspiel und
anderen «studierten» Freunden veröffentlichte, lebt denn auch in starkem Masse von einem sinnlichen, direkten
Bezug zur Natur. Sie ist geprägt von einem ganz unprätentiösen, gleichsam handwerklichen und doch
elegant-melodischen Verhältnis zur deutschen Sprache. «Sprache sei dir Harpune / in den Gewässern der
Zeit» gab er sich 1947, in einem ganz frühen Gedicht, selbst die Losung, und unberührt vom Fatalismus der
Epoche schrieb er über den Wind und den Fluss, den Granit und das Salz, über die Landschaften, die er liebte, die
Menschen, die ihm nahestanden, und nicht zuletzt über das Schreiben als die ihm gemässe Art, dem Leben beizukommen:
«Rosen oder Hühner? / Gedichte schreiben / Und nicht auf die Musik der Bassgeigen am Himmel hören / der blau
oder bewölkt ist.» Hätte er Romane oder Dramen geschrieben: Rainer Brambach wäre populär wie
Dürrenmatt und Frisch geworden. Aber er blieb, nicht wissend, dass er in diesem Ressort einer der besten war, in einem
lyrikverdrossenen Land bescheiden bei seinen Gedichten – und bei den wenigen, aber umso hintergründigeren
Erzählungen des 1972 erschienenen Bändchens «Für sechs Tassen Kaffee und andere Geschichten».
«Die Natur im Gedicht, gewiss, es ist möglich», formulierte er 1965 seinen eigenen Qualitätsanspruch.
«Aber sie muss mit frischen Augen gesehen, in unverbrauchten Sprachbildern dargestellt und mit einem Bewusstsein
beschrieben werden, das auf menschliche Verhältnisse zielt.» Berühmtheiten wie Martin Heidegger, Paul Celan,
Hans Magnus Enzensberger und Peter Huchel bewunderten den scheuen proletarischen Poeten, der sich lebenslang von nichts und
niemandem vereinnahmen liess. Und Basel, das ihn 1939 verstossen hatte, überreichte ihm 1982 schliesslich feierlich
seinen grossen Kunstpreis. Ein Jahr später, am 14. August 1983, hörte sein Herz zu schlagen auf: mitten auf der
Basler Fasanenstrasse, als er auf dem Fahrrad mit Tomaten aus dem Garten nach Hause unterwegs war.
Bieler Tagblatt vom 15.06.2021