Ruth Blum 1913–1975

Noch immer ist es mit seinem Humor, seiner Poesie, seinen Landschaftsbildern, aber auch mit seinen dunklen, von Tod und Armut handelnden Seiten eine der schönsten Kindheitsdarstellungen der Schweizer Literatur: «Blauer Himmel, grüne Erde». Und nichts deutet darauf hin, wie viel Schweres im Leben der Autorin vorausgegangen war, ehe das Buch 1941 im Verlag Huber, Frauenfeld, erstmals erscheinen konnte. Am 2. September 1913 in Wilchingen geboren, hatte Ruth Blum mit acht Jahren den Vater verloren, konnte aber dank ihrer tapferen Mutter dennoch das Lehrerseminar Schaffhausen besuchen, wo sie 1932 erstmals als Autorin hervortrat, als sie ihre Mitschülerinnen mit folgenden kämpferischen Versen um sich scharte: «Früher boten wir den Mund / Dem Bedrücker – heut› die Stirne. / Neuer Freiheit Morgenstund› / Tagt in jedem Frauenhirne.» 1933 aber verliess sie das Seminar ohne Examen und brachte sich als Dienstmädchen, Küchenhilfe in Wirtschaften und als Sekretärin eines zwielichtigen Heiratsvermittlers durch. Als «NZZ»-Redaktor Erwin Arnet ihr zum Sprung in den Journalismus verhalf, hatte sie eben noch als Putzfrau das Treppenhaus des Redaktionsgebäudes gereinigt. Dann aber, als ihr Erstling erschien, schien ein Wunder wahr zu werden, konnten doch in kurzer Zeit vier Auflagen gedruckt werden und feierte die Presse «Blauer Himmel, grüne Erde» wie selten ein Buch in jenen Jahren. Der Euphorie folgte indes die Ernüchterung. Man hatte ihren Roman als Heimatkunst eingestuft und liess sie fallen, als ihre weiteren Bücher dieser Schubladisierung nicht mehr entsprachen. «Jeder Schriftsteller ist zu bedauern», schrieb sie 1975, «dessen erstes Buch aussergewöhnlichen Erfolg hat. Alles, was er später schreibt, wird am Erstling gemessen.» Für die Briefnovelle «Sonnenwende» (1944), wo der Ehebruch einer selbstbewussten Bäuerin mit einem Städter beschrieben ist, sei sie «fast totgeschlagen worden», bekannte sie Jahrzehnte später, und auch der historische Roman «Das Abendmahl» von 1947 widersprach mit seiner Darstellung eines Pfarrers, der sich gegen die herrschende Moral für eine ledige Mutter einsetzt, den gängigen Erwartungen. Und doch: Im Leben der Ruth Blum ereignete sich noch ein zweites Wunder! Nachdem sie die Schriftstellerei längst an den Nagel gehängt und doch noch Lehrerin geworden war, gelangen ihr mit «Wie Reif auf dem Lande» (1964), «Die grauen Steine» (1971) und «Die Sichel» (1975) noch einmal Werke, die dem Erstling ebenbürtig zur Seite zu stellen waren. Aber auch das hatte sie wieder mit Schwerem erkauft: Seit 1961 wusste sie um ihre Krebskrankheit, und die existenzielle Not dieser Erfahrung war es, die Ruth Blum zur ganzen Grösse ihrer dichterischen Möglichkeiten reifen liess. Als sie am 2. August 1975 mit 62 Jahren ihrem Leiden erlag, hinterliess sie dreizehn Bücher, in die sie ihr ganzes Leben und Leiden hineingelegt hatte: das Glück der frühen Kindheit, die Enttäuschungen der späteren Jugend, das lebenslange vergebliche Ringen um eine beglückende Partnerschaft, die Erfahrung der Krankheit, die kleinen Freuden, die sie all dem mit ihrem unverwüstlichen Humor in der Begegnung mit der Natur und fremden Ländern – Irland vor allem – noch abzutrotzen gewusst hatte. Eine «ländliche Mutter Courage» hat sie ihr Biograf Kurt Bächtold genannt. Und so erscheint sie einem auch in ihren Büchern, in ihren besten sowohl als auch in den weniger gelungenen: eine engagierte, kämpferische, sinnlich lebendige und geistig rege Frau, die mit ihrer bekenntnishaften Schreibweise einen hochmodernen Schriftstellertypus vorweggenommen hat.