Jean-Luc Benoziglio 1941–2013

Als mit «Cabinet portrait» («Porträt-Sitzung») 1980 sein sechster Roman erschien, liess Jean-Luc Benoziglio im Klappentext verlauten: «Opfer des heimtückischen Drucks, der auf ihn ausgeübt wurde, liefert uns der Autor endlich einen sechsten Roman, wo die Sätze kurz sind, die Klammern selten, die Abschnitte zahlreich und die Satzzeichen ungefähr an ihrem Platz, und all das in einer Geschichte von biblischer, romanhafter Einfachheit.» Was Benoziglio karikierte, waren seine zwischen 1972 und 1978 entstandenen Romane «Quelqu’un bis est mort», «Le Midship», «La Boîte noire», «Béno s’en va-t-en guerre» und «L’Ecrivain fantôme»: allesamt Zeugnisse einer Schreibweise, die der Artistik des Noveau Roman und der Kombinatorik der Pariser Werkstatt für potenzielle Literatur (Oulipo) verpflichtet war und allenfalls Insiderkreise ansprach. «Cabinet portrait» aber, die Geschichte eines Autors, der von seiner Frau verlassen wird, in elenden Hinterzimmern haust und in einem vielbändigen Lexikon nach seiner Herkunft forscht – dieses hinterhältig-humorvolle Buch, das dem Nouveau Roman keineswegs wirklich Adieu sagte, machte Jean-Luc Benoziglio weitherum bekannt und brachte ihm den Prix Médicis ein. Erstmals verriet er da zudem Wesentliches über seine Herkunft. Am 19. November 1941 in Monthey VS als Sohn eines aus der Türkei eingewanderten jüdischen Psychiaters und einer streng katholischen Italienerin geboren, hatte er in Lausanne politische Wissenschaften studiert, ehe er Verlagslektor bei einer ganzen Reihe angesehener Pariser Verlage wurde – unter ihnen die Éditions du Seuil, in deren avantgardistischer Reihe «Fiction & Cie» seine Bücher erscheinen sollten: fünfzehn an der Zahl, alle als bald einmal naturalisierter Franzose in Paris geschrieben, wo er am 5. Dezember 2013 starb. Die Schweiz aber vergass Benoziglio ebensowenig wie seine jüdische Herkunft. «Man lebt nicht seine ersten fünfundzwanzig Jahre in einem Land, einem Kanton, einer Stadt, ohne davon tief geprägt zu sein», erklärte er einmal, und der Genozid an den europäischen Juden ist in seinem Werk ein immer wiederkehrendes Thema, auch wenn er mit immer neuen Perspektiven und Geschichten zu überraschen wusste. So lässt «Le jour où naquit Kary Karinaky» («Der Tag, an dem Kary Karinaky auf die Welt kam», 1986) auf dem Höhepunkt der Kubakrise Sitzungen im Weissen Haus, im Kreml und in einem Pariser Schulhaus, wo das Schicksal der schlechten Schülerin Kary auf dem Spiel steht, nebeneinander ablaufen. «Peinture au pistolet» («Stillleben mit Pistole», 1993) befasst sich auf provokative Weise mit der Flüchtlingspolitik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und mit den (selbst erlebten) Pariser Unruhen vom Mai 1968. «Le feu au lac» («Das Losungswort», 1998) ist eine erschütternde literarische Erinnerung an den Holocaust, während «La pyramide ronde» («Die runde Pyramide», 2001) einen despotischen, am Ende sich selbst tötenden ägyptischen Pharao zu literarischem Leben erweckt. Nochmals in die Schweiz zurück führt schliesslich Jean-Luc Benoziglios letztes Buch: «Louis Capet, suite et fin» («Louis Capet, Fortsetzung und Schluss», 2005). Es geht davon aus, dass die französische Nationalversammlung 1793 Ludwig XVI. nicht zur Guillotine verurteilt, sondern ins Schweizer Exil verbannt habe. Da erreicht den unter dem bürgerlichen Namen Louis Capet lebenden Exkönig der historisch vorgesehene Tod durch Genickbruch aber doch noch, als er sich bei einem Treppensturz den Hals bricht ...