Die Gnade des Vergessens: Josef Martin Bauer (11. März 1901 - 15. März 1970)

«Gehetzt und gepeitscht, fanatisiert und mit tierhaftem Freiheitsdrang will Stauffer ihn auf das Abenteuer loslassen. Und es ist erreicht. Forell hat zu bedenken aufgehört und denkt nur noch. Er denkt wie ein Tier: Nahrung, Leben, Freiheit, völlig unkompliziert und nur noch insoweit logisch, als das hässlichste Vegetieren jenseits der Gitterstäbe begehrenswerter erscheint als die hinsiechende Trägheit in der Gefangenschaft. Mit Vernunft und Überlegungen, das weiss der Doktor, wird der Fliehende keine hundert Werst weit kommen. Der Instinkt des in die Freiheit entsprungenen Tieres sucht den kürzesten und am wenigsten gefährlichen Weg, um wenigstens aus dem nächsten Gefahrenbereich zu entkommen. ,Sollte es eine unvorstellbare Serie von günstigen Zufällen so fügen, dass Sie aus dem ummauerten Russland hinauskommen, dann tun Sie mir einen kleinen Gegendienst: suchen Sie meine Frau auf und sagen Sie ihr, wo ich bin.'» Das sind die Worte von Dr. Stauffer, dem Lagerarzt, bevor der deutsche Kriegsgefangene Clemens Forrel Ende der Vierzigerjahre die Flucht aus dem russischen Lager antritt, die ihn nach unsäglichen Leiden und Entbehrungen, gefährlichen Abenteuern, aber auch beglückenden Erfahrungen mit hilfsbereiten einfachen Menschen über Persien in sein heimatliches Bayern zurückbringt, wo der innerlich zutiefst aufgewühlte Mann, der gegangen ist, «so weit die Füsse tragen», in den Barockkirchen «die Gnade des Vergessens» erlebt. Der Roman des 1901 geborenen und 1970 gestorbenen bayrischen Redaktors und Hörspielautors Josef Martin Bauer lag in den Buchhandlungen, als Kanzler Adenauer 1955 in Moskau die Rückführung der letzten deutschen Gefangenen erreichte. So war dieses Kapitel abgeschlossen und wurde «Soweit die Füsse tragen», der Roman, der das durch den Krieg bedingte Leid der Deutschen nochmals drastisch vor Augen führte und nicht Einkehr und Sühne, sondern Vergessen predigte, über Nacht zu einem der meistgelesenen Bücher der Adenauer-Ära.