Johann Jakob Bachofen 1815–1887

Zu den «Grossen Schweizern» von 1938 gehörte er noch fraglos, in der Neuausgabe «Grosse Schweizerinnen und Schweizer» von 1990 aber musste er zugunsten der neu aufgenommenen Frauen über die Klinge springen: Johann Jakob Bachofen, Verfasser von «Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur». Zwar ist die These, dass der Mann keineswegs seit jeher die Oberhand in Staat und Familie besessen, sondern sich nach einer Phase des Hetärismus – den Bachofen von der Verehrung weiblicher Gottheiten ableitete – und einer solchen des Matriarchats erst vor etwa 2500 Jahren dank überragender geistiger Fähigkeiten von der Herrschaft der Frau emanzipiert habe, längst unhaltbar geworden. Und doch hat die 1861 erschienene Abhandlung, in der Bachofen die dem Vaterrecht vorangegangene längere Periode der Frauenherrschaft anhand von antiken Texten und Grabsymbolen zu dokumentieren suchte, erstaunlich lange nachgewirkt. Sie hat nicht bloss der monogamen patriarchalischen Familie den Nimbus der einzig denkbaren gottgewollten Einrichtung genommen – und damit der Frauenemanzipation Argumente geliefert –, sie hat, indem sie die Mytheninterpretation gleichrangig neben die logisch­abstrakte Geschichtserklärung stellte, auch neue, umfassendere Möglichkeiten im Umgang mit der Vergangenheit getestet. Andererseits aber legt das «Mutterrecht», das gelegentlich einer schwärmerischen, gefühlvollen Frauenverehrung das Wort redet, die Frau auch sehr einseitig auf ihre Mutterrolle fest – ein Phänomen, das bei den unmittelbar Betroffenen heute alles andere als Begeisterung auslösen dürfte und auch bei Bachofen selbst weniger rational denn emotional und vielleicht sogar biografisch motiviert war. Spross einer der reichsten Basler Familien, stand der am 22. Dezember 1815 geborene, leicht kauzige, ungeheuer belesene und unendlich fleissige Basler Rechtsprofessor, Richter und Privatgelehrte ungewöhnlich lange unter dem bestimmenden Einfluss seiner Mutter Valeria, einer starken, dominanten Persönlichkeit aus dem Geschlecht der Merian. Eine Konstellation, die sich nicht änderte, als der Fünfzigjährige 1865 die neunzehnjährige Elisabeth Burckhardt heiratete und mit ihr einen Hausstand gründete, den er, wie er selbst es formulierte, «nach imperialistischen Grundsätzen» leitete. Bachofens «Mutterrecht» war ein wechselvolles Schicksal beschieden. Von den Zeitgenossen ignoriert oder als Hokuspokus verlacht, wurde es um 1920 durch Ludwig Klages und Carl Albrecht Bernoulli zu Weltruhm gebracht, bis dann die Ethnologie die zentralen Thesen als irrig entlarvte. Die zwischen 1943 und 1967 erschienene Bachofen­Werkausgabe brachte jedoch Sensationelles zutage: Zehn Jahre nach Vollendung des «Mutterrechts» hatte der Verfasser selbst seine Erkenntnisse anhand sämtlicher damals verfügbarer ethnologischer Forschungsresultate zu überprüfen und zu relativieren begonnen! Das eisige Schweigen, dem seine Arbeit in seiner Heimatstadt und in wissenschaftlichen Fachkreisen begegnete, liess ihn jedoch nach der Publikation von zwei bescheiden als «Antiquarische Briefe» betitelten Teilbänden endgültig resignieren. Als er am 25. November 1887 mit 72 Jahren starb, erschien ein einziger wissenschaftlicher Nekrolog: in russischer Sprache, in einer Pariser Exilzeitschrift ...