Bettina von Arnim 1785–1859

Wenn ihre Kinder gross genug seien, wolle sie ihnen die Religion nach einem Katechismus beibringen, den sie sich selbst ausgedacht habe, schrieb Bettina von Arnim am 10. Oktober 1815 ihrem Mann Achim von Arnim, mit dem sie seit vier Jahren verheiratet war. Dieser Katechismus fange mit dem Evangelium nach Johannes an, «im Anfang war das Wort». «So dunkel es Kindern ist, so hab ich doch durch es die einzige erhabene, erschütternde Ahnung von Gott erhalten. Katholisch wie es gelehrt (wird) und wie’s (einen) poetisch verführt, hat mir nie einen Eindruck gemacht; alles, was man mir von Religion beigebracht hat, ist von mir abgefallen wie ganz fremdartig, es war mir manchmal, als müsst’ ich mich vor dem Teufel und vor der Hölle fürchten; nach dem Himmel hab ich mich nie gesehnt, sondern hab gewünscht, immer auf dieser mühseligen Erde zu bleiben.» 74 Jahre, von ihrer Geburt am 4. April 1785 bis zu ihrem Tod am 20. Januar 1859, bewohnte Bettina von Arnim diese Erde, und wenn sie ihr mühselig erschien, dann nicht zuletzt deshalb, weil sie sich, ganz Kind des neu entdeckten Individualismus, mit aller Kraft der für eine Frau zu jener Zeit vorgesehenen Rolle widersetzte. Die Korrespondenzen, die die Frankfurter Kaufmannstochter mit Prominenzen wie Carl von Savigny, Johann Wolfgang Goethe, Wilhelm Grimm, Karoline von Günderrode und ihrem liebevoll umschwärmten Bruder Clemens Brentano (1778–1842) unterhielt, waren lange die einzige Möglichkeit, um die strenge Behütetheit zu Hause in Frankfurt, im Ursulinenkloster Fritzlar und bei der Grossmutter Sophie von La Roche in Offenbach zu durchbrechen. Um nicht als alte Jungfer der Lächerlichkeit zu verfallen, ging die 26-Jährige schliesslich die Ehe mit dem Schriftsteller Achim von Arnim ein und zog mit ihm in Wiepersdorf und Berlin sieben Kinder gross. Nach Arnims Tod im Jahre 1831 aber avancierte sie mit einer Art Schriftstellerei, die Erlebtes mit Fiktivem ausschmückte und ihre Briefwechsel mit Prominenten zu Quellen machte, zur meistgelesenen Autorin ihrer Zeit. Den Anfang machte 1835 «Goethes Briefwechsel mit einem Kinde», der jenseits aller historischen Verlässlichkeit ihre vom Angebeteten nur zögernd erwiderte schwärmerische Goethe-Verehrung dokumentierte. 1840 folgte «Die Günderrode», und vollends berühmt wurde der an Preussens Monarchen Friedrich Wilhelm IV. gerichtete und die Korrespondenz mit ihm verwertende Band «Dieses Buch gehört dem König» von 1843, worin – durch den hohen Adressaten gedeckt – unbequeme Wahrheiten über die sozialen Zustände im Königreich ausgesprochen waren. Als authentisches Dokument war dem Band auch der Bericht des Schweizer Studenten Heinrich Grunholzer über die Situation der Armen in der Berliner Vorstadt Voigtland beigedruckt. Als die von den Zeitgenossen teils als «Enfant terrible» wahrgenommene, teils als «Oberpriesterin des Kommunismus» verhöhnte, von Nachgeborenen wie Christa Wolf – «Kein Ort. Nirgends», 1979 – zur frühen Feministin stilisierte unerschrockene Kämpferin in einem «Armenbuch» das ganze frühindustrielle Elend denunzieren wollte, brach sie 1844 nach der blutigen Niederschlagung der schlesischen Weber die Arbeit ab, weil das Buch von der Zensur ohnehin verboten worden wäre. Sie hatte sich trotz Kontakten zu Fürsten und Königen für ihre sozialen Anliegen kein Gehör verschaffen können, war aber bis zuletzt überzeugt: «Im nächsten Jahrhundert wird der Schall durchdringen!»