Todessüchtige «Hexentexte»: Unica Zürn (6. Juni 1916 - 19. Oktober 1970)

Mit 15 wird die Tochter eines Pleite gegangenen Rittmeisters Schreibmammsel bei der UFA, mit 26 rettet sie sich 1942 in die Ehe mit einem Herrn Laupenmühlen, der ihr zwei Kinder zeugt und nach sieben Jahren genug von der exzentrischen Ehefrau hat, die mit 33 die Berliner Künstlerszene und ihr literarisches Talent entdeckt und den Namen Unica Zürn in Zeitungen und im RIAS Berlin über Kurzgeschichten und Hörspielen auftauchen lässt. 37jährig begegnet sie dem Maler Hans Bellmer, zieht mit ihm nach Paris, wo sie zeitweise wie ein Clochard lebt, wo sie malt, zeichnet und das Anagrammgedicht («Rachetag am Ding»!) zu ihrer Domäne macht. «Hexentexte» nennt sie die Anagramme, die 1954 in Berlin erscheinen - neben der Erzählung «Dunkler Frühling» von 1969 die einzige Publikation zu Lebzeiten. Höhepunkt des Lebens, das für sie nie « m e i n Leben» wurde, war 1957 die Begegnung mit dem Surrealisten Henri Michaux (1899-1984), den sie abgöttisch, aber einsam liebte. «Der Schock dieser Begegnung ist für sie so gewaltig, dass sie ihn nicht überwinden kann», heisst es im einzigen, 1971 postum publizierten Roman «Der Mann im Jasmin», wo sie ihn als H.M. bzw. Weissen Mann verherrlicht und beklagt. Zugleich ist das Buch das Zeugnis eines Irrenhausaufenthalts, von dem man nicht weiss, ob die unglückliche Liebe zu H.M. oder die Verzweiflung über die Anagramm-Sucht ihn nötig machte. Oder die Todessehnsucht, von der ihre Seele seit jeher geprägt war? Im «Norma»-Spiel, das der Roman vorstellt, gestattet Regel 9 den Spielern «die Absolvierung eines gemeinsamen Todes». In den «Hexentexten» lautete 1954 ein Anagramm: «Rot winde den Leib, / Brot wende in Leid, / ende Not, Beil wird / Leben. Wir, dein Tod, / weben dein Lot dir / in Erde. Wildboten, / wir lieben den Tod.» «Dunkler Frühling» aber endete 1969 damit, dass eine Frau aus dem Fenster in den Tod springt. Genau so, wie Unica Zürn es am 19.Oktober 1970 mit 54 Jahren in Paris dann auch selbst getan hat...