Albin Zollinger 1895–1941

Max Frisch hat ihn «einen glühenden und zerrissenen Dichter einer glühenden, zerrissenen Zeit» genannt, den am 24. Januar 1895 in Zürich geborenen Albin Zollinger, der einen Teil seiner Kindheit in Argentinien verbrachte, am Seminar Küsnacht zu schreiben begann und von 1922 bis zu seinem frühen Herztod am 7. November 1941 in Oerlikon Lehrer war. Er litt intensiver als andere, der feingliedrige, überaus zart wirkende Poet, der einer Geliebten noch mit 46 Jahren schreiben konnte, er mache ihr sein «Bubenkörperchen» zum Geschenk. Er litt an seiner verunglückten Kindheit, an der besitzgierigen Liebe seiner Mutter. Er war unzufrieden mit dem Status eines Primarlehrers, quälte sich ab mit dem engstirnigen Klima seiner Heimat und mit der Borniertheit von Kritikern und Redaktoren, von denen er sich verkannt fühlte. Am meisten aber litt er wohl an sich selbst, an der dunklen Schwermut seines Wesens, an seiner inneren Ruhelosigkeit und an jenem schöpferischen Ungenügen, das selbst in seinen besten Werken noch irgendwo spürbar ist. Sieht man von der köstlichen Zeitsatire «Der Fröschlacher Kuckuck» (1941) einmal ab, so gab Zollinger sich als Romancier fast unverstellt und oft auf Kosten der literarischen Qualität selber preis: seine Freuden, Ängste und Zweifel, vor allem aber seine nie gestillte Sehnsucht nach Liebe. Debütiert hatte er 1921 mit dem zur Zeit des Sonnenkönigs spielenden, aber dennoch stark autobiografisch bestimmten Roman «Die Gärten des Königs». Fast unverstellt autobiografisch war dann 1929 der Roman «Der halbe Mensch», der davon handelt, wie der Künstler Wendelin Bach in verschiedenen Liebesbegegnungen und mit Hilfe der vegetarisch-meditativen Mazdaznan-Bewegung, der Zollinger seit 1924 angehörte, Klarheit über sich selbst zu finden sucht. Einen vielschichtigen, die Brüchigkeit der Ehe thematisierenden Roman legte Zollinger 1939 mit «Die grosse Unruhe» vor. Das letzte zu Lebzeiten veröffentlichte Werk, «Pfannenstiel. Die Geschichte eines Bildhauers» (1940), fand unter dem Titel «Bohnenblust oder Die Erzieher» 1942 posthum eine Fortsetzung und handelt, erneut auf persönlichen Erlebnissen basierend, vom Künstler Martin Stapfer, der an der Liebe leidet und an der Verständnislosigkeit seiner Umwelt fast zugrunde geht, dann aber doch seinen Mann stellt, als das Land zu Beginn des Zweiten Weltkrieges in Gefahr gerät. Die von den «Pfannenstielern» ins Leben gerufene Zeitschrift erinnert an Zollingers kurzlebige mutige «Zeit», und unter dem Namen Tilly hat selbst noch Bertha Fay, seine letzte Liebe, in den Roman Eingang gefunden. Die Serviertochter hatte den einsamen Kaffeehausliteraten getröstet, als dieser nach der Scheidung von seiner «Traumfrau» Heidi Senn in die tiefste Krise seines Lebens geraten war. All das Persönliche ist in Zollingers Lyrik, die seinen eigentlichen Rang ausmacht, nur indirekt zu spüren: Da beherrscht der Formkünstler seinen Stoff. Obwohl er von Anfang an auch Verse geschrieben hatte, debütierte er damit erst 1933 mit dem Band «Gedichte». Es folgten «Sternfrühe», «Stille des Herbstes» und «Haus des Lebens», und Erwin Jaeckle, sein Lektor bei Atlantis, trifft den Punkt, wenn er von der Weite, der frischen Sinnlichkeit und den kühnen Assoziationen dieser Gedichte spricht, in denen «sieben Töne Welten so zu entfalten vermögen, wie ein Dichter vom Range Zollingers die Intensität schlichter Verse in kristallene Wunder aufzubrechen vermag.»


Zollinger, Albin
*Zürich 24.1.1895, †ebd. 7.11.1941, Schriftsteller. Der Sohn eines Mechanikers verbrachte seine Kindheit in Rüti (ZH) und in Argentinien. 1912-16 absolvierte er das Lehrerseminar Küsnacht (ZH) und begann mit ersten schriftsteller. Versuchen. Nach versch.Vikariaten wurde er 1923 in Zürich-Oerlikon Primarlehrer und behielt dieses Amt bis zu seinem Tode. Daneben redigierte er 1936/37 auf bemerkenswert hohem Niveau und mit mutig-zeitkrit. Tendenz die in Bern erscheinende Ztschr. »Die Zeit« und gehörte auch mit seinem sonstigen publizist. Wirken (»Polit. und kulturkrit. Schriften. Kleine Prosa«, hg. von G. Huonker, Werke, Bd. 6, 1984) zu den weitsichtigsten und integersten Intellektuellen seiner Generation. Als Schriftsteller war er v.a. mit seiner romantisierenden, im Banne einer grossen Tradition stehenden und gleichwohl unverwechselbar eigenständigen Natur- und Liebeslyrik ein Begriff, wie er sie in »Gedichte« (1933), »Sternfrühe« (1936), »Stille des Herbstes« (1939) und »Haus des Lebens« (1939) vorlegte. Die Romane von Z. fanden weniger Anklang als seine Gedichte. Debütiert hatte er mit dem zur Zeit des Sonnenkönigs spielenden, aber dennoch autobiograph. bestimmten Roman »Die Gärten des Königs« (1921). Fast unverstellt autobiograph. war dann der Roman »Der halbe Mensch« (1929), der davon handelt, wie der Künstler Wendelin Bach in versch. Liebesbegegnungen und mit Hilfe der Mazdaznan-Bewegung Klarheit über sich selbst zu finden sucht. Einen vielschichtigen, autobiograph. Roman legte Z. mit »Die grosse Unruhe« (1939) vor. Sein letztes zu Lebzeiten veröffentlichtes Werk, »Pfannenstiel. Die Geschichte eines Bildhauers« (R., 1940), sollte im postum erschienenen zweiten Teil, »Bohnenblust oder Die Erzieher«, seine Fortsetzung finden und ist die wiederum auf persönl. Erlebnissen basierende Erzählung von einem Künstler, der an der Liebe leidet und an der Verständnislosigkeit seiner Umwelt fast zugrunde geht, dann aber doch seinen Mann stellt, als das Land zu Beginn des 2. Weltkrieges in Gefahr ist. Wie stark sein Werk durch leidvolle persönl. Erfahrungen bestimmt und auch belastet ist, zeigte sich durch die Veröffentlichung der erschütternden Briefe an seine erste, 1935 von ihm geschiedene Frau, Heidi Z.-Senn (»Fluch der Scheidung«, hg. von Magdalena Vogel, 1965) und anhand der zweiten Briefslg.(hg. von Silvia Weimar, 1988). - Ausgaben: Werke (4 Bde., 1961/62), Werke (6 Bde., 1981-84). … Lit.: Schumacher, H.: A.Z. Lyrik, Herrliberg 1946; Häfliger, P.: Der Dichter A.Z., Diss., Freiburg 1954; Albrecht, Beatrice: Die Lyrik A.Z., Diss., Zürich 1964; Müller, F.: A.Z., Biographie, mit Bilddokumenten und Materialien (Bd. 1 von A.Z.: Werke) ,Zürich 1981; Jaeckle, E.: Dichter in dieser Zeit, Nachwort zu A.Z., »Pfannenstiel«, nhg. von C. Linsmayer, Zürich 1983. (Schweizer Lexikon)


Zollinger, Albin
* 24. 1. 1895 Zürich, † 7. 11. 1941 Zürich. - Lyriker, Erzähler, Essayist.
Sohn eines phantasiebegabten, grüblerischen Mechanikers u. einer unsteten, abenteuerlustigen Mutter, verbrachte Z. seine Kindheit in Rüti/Kt. Zürich u. in Argentinien, wo sich die Eltern 1903-1907 vergeblich eine neue Existenz aufzubauen suchten. 1912-1916 bildete er sich in Küsnacht/Kt. Zürich zum Primarlehrer aus u. begann mit ersten schriftstellerischen Versuchen. Nach verschiedenen Aushilfsstellen in den Zürcher Gemeinden Wald, Uster, Pfäffikon, Leimbach bzw. Stadel wurde Z. 1923 in Zürich-Oerlikon fest angestellt u. behielt dieses Lehramt bis zu seinem Tod. Daneben redigierte er 1936/37 auf bemerkenswert hohem Niveau u. mit zeitkrit. Tendenz die in Bern erscheinende Zeitschrift »Die Zeit« u. gehörte auch mit seinem sonstigen publizistischen u. journalistischen Wirken (vgl. Politische und kulturkritische Schriften. Kleine Prosa. Hg. Gustav Huonker. Bd. 6, Zürich 1984) zu den weitsichtigsten u. integersten krit. Schweizer Intellektuellen seiner Generation.
Als Schriftsteller wurde Z. den Zeitgenossen v. a. mit seiner romantisierenden, im Banne einer großen Tradition stehenden u. gleichwohl unverwechselbar eigenständigen Natur- u. Liebeslyrik zum Begriff, wie er sie in den Bänden Gedichte (ebd. 1933), Sternfrühe (ebd. 1936), Stille des Herbstes (ebd. 1939) u. Haus des Lebens (ebd. 1939) vorlegte. »Denn das Geheimnis ist bei ihm schon in der Sprache wohl behütet, in diesen Versen, bei denen sich niemals voraussagen läßt, was geschehen wird, die bis in die kühnsten Reime und einen manchmal fast labyrinthischen Satzbau wie Improvisationen anmuten, Wellenschlag eines reinen, von Nähen und Fernen sanft bewegten Gemüts, klanggewordener Traum von Heimat und Griechenland, alter und neuer Zeit, von Hoffnung, Erinnerung und Vergessen« (Emil Staiger im Nachwort zu: Gedichte. Ausgewählt von E. Staiger. Ebd. 1956).
Weil sie dem gängigen Formkanon nicht entsprachen u. zum Teil wohl auch ihres stark gesellschafts- u. zeitkrit. Gehalts wegen fanden Z.s Romane bei den Zeitgenossen, sieht man vom davon wesentlich beeinflußten Max Frisch einmal ab, weit weniger Anklang als seine Lyrik. Z. debütierte mit dem zur Zeit des Sonnenkönigs spielenden, von der seel. Verfassung des gescheiterten, dem Wahnsinn verfallenden Tyrannenmörders René Bonval her aber gleichwohl autobiographisch bestimmten Roman Die Gärten des Königs (Lpz./Zürich 1921). Fast unverstellt autobiographisch war dann der zweite Roman, Der halbe Mensch (ebd. 1929), den Z. nach eigenem Bekunden schrieb, »um eine Lebensnot abzustreifen«, u. der davon handelt, wie der Künstler Wendelin Bach in verschiedenen Liebesbegegnungen u. mit Hilfe der Mazdaznan-Bewegung Klarheit über sich selbst zu finden sucht. Einen vielschichtigen, in Paris, Berlin u. Wien spielenden, um die Figur des gleichfalls autobiograph., an seiner Ehe scheiternden Urban von Tscharner zentrierten Entwicklungsroman legte Z. mit Die große Unruhe (ebd. 1939) vor. Z.s letztes zu Lebzeiten veröffentlichtes Werk, der Roman Pfannenstiel. Die Geschichte eines Bildhauers (ebd. 1940), sollte im postum erschienenen zweiten Teil, Bohnenblust oder Die Erzieher (ebd. 1941), seine Fortsetzung finden u. ist die wiederum auf persönl. Erlebnissen basierende Erzählung von einem Künstler, der an unglückl. Liebe u. der Verständnislosigkeit seiner Umwelt fast zugrundegeht, sich dann aber doch auf sich besinnt, als das Land zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Gefahr ist. Während im ersten Teil von seiten des Freundesbunds der »Pfannenstieler« harsche Kritik an der Schweiz u. ihrer Kultur- u. Gesellschaftspolitik geübt wird, wirkt der zweite Teil mit seiner Utopie einer durch die Kräfte des Bauerntums erneuerten Gemeinschaft versöhnlich. Wie zwei andere postum veröffentlichte Texte - die ins Historische verlegte Eulenspiegelei Der Fröschlacher Kuckuck. Leben und Taten einer Stadt in zwanzig Abenteuern (ebd. 1941) u. Die Narrenspur. Vom Leben des Barometermachers Balthasar Kaspar Zellweger, genannt Baneter Balz, in Stäfa (Erstdr. in: Werke. Hg. Felix Müller. Bd. 2, Zürich 1983) zeigen, verstärkte sich, wohl unter dem Eindruck des Kriegs u. nach negativen Erfahrungen mit der freiwilligen Selbstzensur, die Tendenz zu Konzilianz u. unverfängl. histor. Stoffen in Z.s letzten Lebensmonaten beträchtlich. Wie stark seine Romane durch leidvolle persönliche Erfahrungen bestimmt u. auch belastet sind, zeigte sich bereits bei der Veröffentlichung der Briefe an seine erste, 1935 von ihm geschiedene Frau Heidi Zollinger-Senn (Fluch der Scheidung. Hg. Magdalena Vogel. St. Gallen 1965), insbes. aber anhand der umfassenden Briefsammlung, die Silvia Weimar im Anschluß an die zweite Zollinger-Werkausgabe edierte (Briefe. Zürich 1987).

AUSGABEN: Werke in 4 Bdn. Zürich 1961/62. - Werke in 6 Bdn. Ebd. 1981-84.
LITERATUR: Hans Schumacher: A. Z. Lyrik. Herrliberg 1946. - Paul Häfliger. Der Dichter A. Z. Diss. Freiburg/Schweiz 1954. - Werner Günther: A. Z. In: Dichter der neueren Schweiz 1. Bern 1963. - Beatrice v. Matt-Albrecht: Die Lyrik A. Z.s. Diss. Zürich 1964. - Felix Müller: A. Z. Biogr. Mit Bilddokumenten u. Materialien. In: A. Z.: Werke. Bd. 1, Zürich 1981. - Erwin Jaeckle: Dichter in dieser Zeit. Nachw. zu A. Z.: «Pfannenstiel». Neu hg. v. Charles Linsmayer. Ebd. 1983. Ffm. 1990. - B. v. Matt: A. Z. Der Lyriker in seinem literar. Umfeld. Nachw. zu A. Z.: Werke. Bd. 4, Zürich 1983. - Dies.: Z. als Erzähler. Glanz u. Grenzen seiner Prosa. Nachw. zu A. Z.: Werke. Bd. 5, ebd. 1984. - Gustav Huonker: A. Z., der Publizist. Nachw. zu A. Z.: Werke. Bd. 6, ebd. 1984. - Silvia Weimar: A. Z. als Briefschreiber. Nachw. zu A. Z.: Briefe. Ebd. 1987.
(Bertelsmann Literaturlexikon)