Wenn ein Mann zur Frau wird: Virginia Woolf (1882-1941)

Das gibt es: dass eine Figur mitten im Roman das Geschlecht wechselt beziehungsweise vom Mann zur Frau wird - als welche sie bei den Männern dann genau soviel Staub aufwirbelt wie zuvor in der Damenwelt, die sich im besonderen Fall immerhin aus einer englischen Königin, einer russischen Prinzessin und einer rumänischen Herzogin rekrutiert hatte. Die Zeit ist in dem Buch übrigens ebensowenig eine fixe Grösse wie das Geschlecht, lebt das sexuelle Chamäleon doch von 1570 bis (mindestens) 1928, als es zu einer Dichterin mutiert ist, deren Erfolg unter anderem damit zu erklären ist, dass sie in ihrer Person männliche und weibliche Eigenschaften harmonisch miteinander vereint. In diesem Jahre 1928 ist es denn auch erschienen, Virginia Woolfs Buch «Orlando», das, bewusst irritierend, «Biographie» heisst und natürlich nicht zufällig der Kollegin und intimen Freundin Victoria Sackville-West gewidmet ist. «Eines Tages werde ich hier, wie ein grosses historisches Gemälde, die Umrisse aller meiner Freunde skizzieren», hatte die Autorin im März 1927 ihrem Tagebuch anvertraut. «Vita soll darin ein junger Adelsherr sein...: eine Biographie, beginnend im Jahre 1500 und fortlaufend bis zum heutigen Tag, betitelt ,Orlando': Vita, jedoch mit einem Wechsel von einem Geschlecht zum andern.» «Orlando», das humorvollste Buch, das Virginia Woolf - geboren 1882, freiwillig aus dem Leben geschieden 1941 - geschrieben hat, ist aber weit mehr als ein Schlüsselroman. Es ist ein Buch, in dem auch die befremdlichsten Einfälle noch einen absolut plausiblen Sinn bekommen. Die verrückten 400 Jahre Leben z.B. ermöglichten es, die literarischen und historischen Einflüsse, die in Orlando wirksam sind, statt trocken zu reflektieren, direkt aus der Vergangenheit herauszuholen. Die Doppelgeschlechtlichkeit aber erlaubte es, die Rollenerwartung von Mann und Frau in einer Zeit satirisch brillant auf die Schippe zu nehmen, als Feminismus noch ein Schimpfwort war und Emanzipation als neurotische Anwandlung blaustrumpfiger Suffragetten galt.